International Braille Chess Association

                Die Geschichte der Organisation

Zusammengestellt  und mit  überleitenden Texten  versehen  von

                       Hans-Gerd Schäfer

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                       K A P I T E L  V


                          Spezielles
                   ÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ

Wie bereits erwähnt, ist für Kinder und Jugendliche die geistige
und körperliche Auseinandersetzung mit der jeweiligen Umgebung
und im Rahmen der individuellen Möglichkeiten sowohl ein
Grundbedürfnis als auch eine Notwendigkeit im Hinblick auf die
Vorbereitung auf das Erwachsensein. Bei der geistigen
Auseinandersetzung, die für Blinde und hochgradig Sehbehinderte
zwangsläufig von Beginn der Beschulung an eine herausragende
Stellung einnahm, spielen Karten- und Brettspiele aller Art eine
wesentliche Rolle. In unseren von den diversen Arten der
Unterhaltungselektronik geprägten Zeiten ist zwar kaum noch
verständlich, daß dies die Aufmerksamkeit junger Menschen in
einem so hohen Maße fesseln konnte, die Freude an solchen Dingen
ist aber - trotz allem - immer noch nicht ganz geschwunden.

So spielt man also - wenn auch nicht in dem Maße wie noch vor
wenigen Jahrzehnten - an den Schulen (auch an Blindenschulen)
Schach. Es gibt aufgezeichnete Schachpartien, die nachgespielt
werden können, Aufzeichnungen, die archiviert werden, und zur
Erbauung oder zu Studien in der Zukunft dienen.

Um eine Schachpartie in Punktschrift (Braille) aufzuschreiben,
bedient sich der Blinde im allgemeinen der Stechtafel. Mittels
vorgeprägter Formen, die der Würfelsechs entsprechen, werden bei
diesem Schreibgerät nach der Vorgabe von Louis Braille in der
Schablone der ®Würfelsechs¯ Punkte zu sinnvollen Zeichen
zusammengestellt. Es gibt zwar auch die Braille-Schreibmaschine,
die die Anfertigung von Partieaufzeichnungen für den Blinden und
Sehgeschädigten erheblich erleichtert; sie benötigt aber viel
Platz. Die normalen Plätze für Schachspieler sind jedoch recht
eng bemessen: Das Schachbrett und - für jeden rechts davon - ein
Formular, worauf die Züge einfach eingetragen werden, was
schließlich auch völlig ausreicht - für den sehenden
Schachspieler jedenfalls.

Wenn man aber nicht sehen kann, welche Karte der Gegner
ausspielt - welchen Spielstein der Gegner auf dem Brett wohin
bewegt, dann muß der Gegner dies sagen. Auf diese Weise
entwickelte sich beim Schachspielen auch das für das Spiel
zwischen Blinden und hochgradig Sehgeschädigten wie auch für die
Form des Spiels zwischen blinden und sehenden Schachspielern
erforderliche

                    Spiel an zwei Brettern.

Die Internationalisierung der Schachorganisation erforderte nun
unbedingt, daß ein Modus für eine Verständigung gefunden wurde,
damit auch Russen und Engländer - Spanier und Deutsche einander
Züge ansagen konnten und die Ansage des Gegners verstehen.
Allerdings mußte zu diesem Zweck auch zunächst einmal ein
einheitliches Spielmaterial definiert werden; der blinde
Schachspieler mußte sich nämlich gegebenenfalls auch auf dem
Brett seines Gegners zurechtfinden können. Schwierigkeiten, von
denen man sich als Außenstehender kaum einen Begriff machen
kann. Hier zur Veranschaulichung einige Auszüge aus Protokollen
von zwei früheren I.B.C.A.-Kongressen:

Aus der Niederschrift zum III. I.B.C.A.-Kongreß Ende März 1964
in Kühlungsborn (Deutsche Demokratische Republik):

In der Debatte über die Vereinheitlichung des Spielmaterials
wurde klar, wieviele verschiedenartige Schachspielausführungen
es für Blinde gibt. So haben die Jugoslawen sehr große Bretter,
und die Figuren sind am Fuß gekennzeichnet; In Österreich,
England und Irland sind die weißen, in Deutschland und der
Sowietunion die schwarzen Figuren gekennzeichnet. Desgleichen
sind in einigen Ländern die weißen, in anderen Ländern jedoch
die schwarzen Felder erhöht. Es wird zwar deutlich, daß kein
Land von den gewohnten Ausführungen abweichen will. Demgegenüber
zeigt sich aber auch, daß ein von der I.B.C.A. empfohlener
Schachspieltyp vor allem in den Ländern gewünscht wird, in denen
zur Zeit noch verschiedene Schachspiele in Gebrauch sind. Von
mehreren Ländern werden die FIDE-Figuren vorgeschlagen. Anton
Hartig (der Vertreter Österreichs) regte an, den von der
I.B.C.A. empfohlenen Schachspieltyp anzunehmen.

Von einzelnen Delegationen wurde auch auf die psychologische
Seite des Problems der Vereinheitlichung verwiesen. dem
Sehschwachen sagen danach große Bretter mit großen Figuren zu,
während der Blinde kleinere Bretter mit entsprechenden Figuren
vorzieht. Darüber hinaus wird von Sehschwachen auch oft ein
Figurenset mit roten Figuren (anstelle der schwarzen) wegen des
- subjektiv - besseren Kontrastes) gewünscht; diesem Wunsch
konnte im I.B.C.A.-Regelwerk leider noch nicht Rechnung getragen
werden, obwohl das wahrscheinlich keine unbillige Forderung ist.
Schließlich stimmte man über die Frage ob die schwarzen Felder
erhöht und die schwarzen Figuren mit einem Punkt auf der Spitze
gekennzeichnet werden sollten ab. Der Vorschlag wurde
angenommen. Die einzelnen Länder stellten in Aussicht, nach
Möglichkeit die Herstellerfirmen, von denen ihre Organisation
mit Spielmaterial versorgt wird, dahingehend zu beeinflussen.

Beim VI. I.B.C.A.-Kongreß in Seinäjoki-Kuortane (Finnland) am
14. August 1976 zeigte sich, daß die heute allgemein anerkannten
Kriterien für die Kennzeichnung des Schachbretts, die Blinden
und hochgradig Sehbehinderten inzwischen überall auf der Welt
geläufig sind, schon recht gut durchformuliert waren:

Vereinheitlichung  des  Spielmaterials - Das I.B.C.A.-
Turnierreglement (ANHANG ®Spiel an zwei Brettern¯) schreibt vor:

"Das Schachbrett soll mindestens  20 x 20 cm  groß, die Farbe
der Felder deutlich erkennbar und die schwarzen Felder sollen
erhöht sein.  Die Figuren müssen dem Staunton-Modell
entsprechen, wobei die schwarzen Steine besonders zu markieren
sind."

Zwei sehende Schachspieler brauchen ihre "Argumente auf dem
Schachbrett nicht verbalisieren; Es genügt, daß derjenige,
welcher am Zuge ist, die Schachuhr seines Gegenspielers in Gang
setzt, um diesem anzuzeigen, daß er sich über die stattgefundene
Bewegung auf dem Brett orientieren und seinerseits einen Zug
durchführen möge. Neben den allgemeinen Schachregeln gelten für
das Spiel von Blinden untereinander und Blinden gegen Sehende
besondere Zusatzbestimmungen. Diese bereits 1954 - vor Gründung
der I.B.C.A. - von der FIDE als notwendige Ergänzung erkannten
und in ihrem Regelwerk in einer ersten Formulierung
berücksichtigten Bestimmungen, sind Grundlage für das
unerläßliche "Spiel an zwei Brettern". Der blinde Spieler
benutzt meist ein Brett, das kleiner als das normale ist. Die
Turnierordnung der I.B.C.A. enthält in dem erwähnten, speziellen
Anhang, dessen Text auch - mit geringen redaktionellen
Änderungen - im FIDE-Regelwerk als Protokoll IV aufgenommen
wurde, diese Regeln für ein "Spiel an zwei Brettern"; hier wird
auch für Steckbretter speziell für Blinde als Zweitbretter zum
Tasten eine Mindestgröße von  20 x 20 cm  festgelegt. Blinde und
hochgradig Sehgeschädigte spielen aber - notwendigerweise - an
zwei Brettern, da sie gezwungen sind, die Stellung der Figuren
nach jedem Zuge und die sich daraus ergebenden kombinatorischen
Möglichkeiten tastend zu erkunden.

Deshalb legte die "International Braille Chess Association" die
folgende Regelung, die als Protokoll IV auch Bestandteil des
FIDE-Handbuchs ist,  im Anhang zu ihrer Turnierordnung fest.
Hier heißt es:

"Für I.B.C.A.-Turniere soll das Spiel mit zwei
Brettern  und Schachfiguren, die für Blinde geeignet sind,
verpflichtend sein."

®Für Blinde geeignet¯ bedeutet, daß die Figuren festgesteckt
sein müssen, um ein Tasten zu ermöglichen; und Kriterien
definiert sind, eine farbliche Unterscheidung auch dem Blinden
kenntlich zu machen. Bei den schwarzen und weißen Feldern wie
auch bei den schwarzen und weißen Figuren mußte hinsichtlich der
Unterscheidungsmöglichkeit mit Hilfe der tastenden Hand eine
allseits respektierte Übereinkunft getroffen werden. Sie lautet:

"Die Farben der Felder sind klar zu unterscheiden, die schwarzen
Felder muessen erhöht sein."

®Erhöht¯ heißt, daß die schwarzen Felder um etwa 1 bis 2 mm - je
nach Größe des Brettes - herausgehoben sind.

Die Angabe zu einer geforderten Mindestgröße eines Steckschachs
für Blinde  ®20 x 20 cm¯  hat wohl vor allem praktische Bezüge,
die vielleicht so in Worte gefaßt werden können:

a)   Während jeder sehende Schachspieler ganz selbstverständlich
davon ausgeht, daß der Veranstalter eines Schachturniers auch
die erforderlichen Schachbretter, -uhren und das nötige
Schreibmaterial, um die Partien aufzuzeichnen, bereitstellt,
geht ein Blinder und hochgradig Sehbehinderter ebenso
selbstverständlich davon aus, daß er alles mit sich führen muß,
was er in dieser Hinsicht braucht. Dies ist einer der Gründe,
warum die Steckbretter für Blinde klein sind und - oftmals -
durch ein Scharnier oder auf andere Weise so unterteilt, daß sie
noch kleiner zusammengelegt werden können, was der besseren
Transportierbarkeit dient. Auch die Turnierordnung der I.B.C.A.
sagt dazu:

"Jeder Spieler muß das eigene Spielmaterial, - eine
Blindenschachuhr, Schreibmaterial oder Diktiergeraet -
mitbringen."

b)   Wenn sehende Schachspieler gegen nichtsehende spielen,
stehen auf demselben Platz, der sonst für ein Brett - das vom
Veranstalter zur Verfügung gestellte - gedacht ist, zwei Bretter
- gemäß der blindenspezifischen Regelung - und dann muß der
Blinde ebenfalls noch Platz für das eventuell auch
umfangreichere Schreibmaterial finden, das er benötigt, um seine
Partie zu notieren.

c)   Es ist erklärlich, daß die Turnierleiter Probleme mit der
Erkennung einer Position auf einem so kleinen Brett, die zu dem
auch noch teilweise von der ®tastenden Hand¯ verdeckt wird,
haben, aber die gerade geschilderten Platzprobleme - beim
Transport wie beim Einsatz - erzwingen kleine Schachbretter für
Blinde. Im übrigen beeinträchtigt ein Schachbrett von 20 x 20 cm
die Funktion dieses Hilfsmittels als Gedächtnisstütze für den
Blinden und hochgradig Sehbehinderten in keiner Weise, sofern er
die Position durch Tasten aufzunehmen gewohnt ist. Außerdem ist
zu beachten, daß die ®tastende Hand¯ auf dem Schachbrett um so
eher Gedanken und Planungen des blinden Spielers zu verraten
geeignet ist, je größer dieses Schachbrett ist und je besser
dieselbe Hand in ihren Bewegungen darauf mit dem Auge verfolgt
werden kann.

Die schwarzen Figuren werden an der Spitze so gekennzeichnet,
daß der Finger schwarz und weiß bei Berührung sofort
unterscheiden kann. Im Anhang zur Turnierordnung der I.B.C.A.
heißt es:

"Die Figuren sollen dem Staunton-Modell, bei welchem die
schwarzen Figuren ein unterscheidendes Merkmal tragen,
entsprechen."

®Staunton¯ bezieht sich natürlich auf den berühmten englischen
Schachspieler, dessen im Jahre 1848 vorgestelltes Figurenset
heute allgemein verwendet wird.

Der schwache Punkt beim ®Spiel auf zwei Brettern¯ ist natürlich
die sprachliche Übermittlung an den Gegenspieler. Hier legt der
Anhang zunächst einmal ganz allgemein fest:

"Die Züge werden deutlich und in der Reihenfolge ihrer
Ausführung angesagt, vom Gegner wiederholt und von jedem Spieler
auf seinem Brett - unmittelbar - ausgeführt."

Die eigentliche Zugansage wird nun genauestens definiert, um
Mißverständnisse so weit wie möglich ausschließen zu können. Die
Vorschrift lautet:

"Für die Angabe der Züge soll folgendes System angewandt werden:
a)   Die vertikalen Linien sollen von links nach
     rechts und von der weißen Position aus gesehen
     folgende Namen erhalten:
     Anna      Bella     Caesar    David
     Eva       Felix     Gustav    Hektor

b)   Die Horizontalen Linien von Weiß nach Schwarz
     sollen die Nummern
     1-Eins    2-Zwei    3-Drei    4-Vier
     5-Fuenf   6-Sechs   7-Sieben  8-Acht
     erhalten.

c)   Die Steine haben folgende Bezeichnungen
     Koenig         Dame           Turm
     Springer       Laeufer        Bauer"

Damit ist - gemäß Übereinkunft - die deutsche Sprache zur
Bezeichnung der Figuren und zur Angabe der Züge bei
internationalen Begegnungen im Rahmen der I.B.C.A.
festgeschrieben, während die Organisation den englischen Namen
®International Braille Chess Association¯ trägt.

Obwohl diese Regelung offensichtlich keine Zweideutigkeiten
zuläßt, ist dieser Weg der Zugübermittlung mit erheblichen
Risiken verbunden, denen der Anhang zur I.B.C.A.-Turnierordnung
Rechnung tragen muß. Bei Spielern, die verschiedenen Nationen
und Sprachgruppen angehören, können phonetische Mißverständnisse
nie ganz ausgeschlossen werden. Die in der Folge aufgeführten
drei Punkte befassen sich intensiv mit dieser Problematik und
allem, was damit zusammenhängt:

"Ein Versprechen bei der Ansage des Zuges muß sofort, noch bevor
die Uhr des Gegners in Gang gesetzt wird, berichtigt werden."

Bei der Verständigung über einen Zug und bei der Umsetzung
dieses Zuges kann es - trotz aller Vorsicht und dem Einsatz
subtilster Hilfskonstruktionen - zu Differenzen kommen. Dafür
muß einfach vorgesorgt sein, und die I.B.C.A. ist bestrebt, den
Turnierleitern in solchen Situationen Verhaltensmaßregeln an die
Hand zu geben, die eine neutrale Art der Auflösung solcher
Diskrepanzen in gegenseitigem Einverständnis nahelegen.

"Sollte es vorkommen, daß man auf den zwei Brettern verschiedene
Positionen vorfindet, so muß dies vom Turnierleiter unter
Berücksichtigung der Spielaufzeichnungen beider Spieler
korrigiert werden. Bei der Auflösung solcher Differenzen muß
derjenige Spieler, der den richtigen Zug aufgeschrieben aber den
falschen ausgeführt hat, Nachteile in Kauf nehmen."

"Die von jedem Spieler bis zur Entdeckung des Fehlers
verbrauchte Bedenkzeit ist durch die Zahl der Züge zu teilen und
entsprechend zu reduzieren."

Der Fall, daß sich Mißverständnisse häufen und demzufolge auch
ein völlig anderer Partieverlauf aufgezeichnet wird, ist
ebenfalls denkbar, und er muß demnach berücksichtigt werden:

"Sollte bei solchen Diskrepanzen der Fall auftreten, daß die
Aufzeichnungen auch unterschiedlich sind, so müssen die Züge bis
zu dem Punkt zurückgeführt werden, an dem die Aufzeichnungen
noch übereinstimmen. Demgemaeß muß der Turnierleiter die Uhren
wieder neu einstellen."

Da der blinde und hochgradig sehgeschädigte Schachspieler nur
durch Abtasten, das heißt ®Berühren¯ seiner Figuren deren
Position ermitteln kann, war für die Regel [Berührt - Geführt]
auch eine eigene Version zu finden und festzulegen. Sie lautet:

"Eine Figur soll als Berührt betrachtet werden, wenn sie aus der
Sicherungsöffnung entfernt wurde."

Davon ausgehend wird die ®Durchführung eines Zuges¯
folgendermaßen definiert:

"Ein Zug gilt als durchgeführt,
a)   wenn Eine Figur in eine andere Sicherungsöffnung gegeben
     wird;
b)   im Falle eines Schlagens die geschlagene Figur
     von dem Spieler, der am Zuge ist, vom Brett
     entfernt worden ist."

Mutet die ganze Prozedur schon etwas umständlich an, so wird man
vollends verstehen, daß der blinde und hochgradig sehgeschädigte
Schachspieler zeitliche Nachteile wegen seiner Behinderung in
Kauf zu nehmen hat, wenn man die folgende Regelung, die
allerdings ohne Alternative ist - liest:

"Erst wenn der Zug angesagt ist, darf die Uhr des Gegners in
Gang gesetzt werden."

Als nächstes wird die Blindenschachuhr zum unabdingbaren
Attribut für die offiziellen I.B.C.A. Turniere erklärt und das
Wesentliche so beschrieben:

"Eine Blindenschachuhr, die mit tastbaren Punkten - alle fünf
Minuten - und Strichen - jede viertel Stunde - sowie mit
tastbaren Stunden- und Minutenzeigern und "Fallblättchen"
(Fahnen) versehen ist, muß verwendet werden."

Die technische Entwicklung hat 1994 eine Erweiterung dieser
Vorschrift erforderlich gemacht, da die mechanische Schachuhr in
Konkurrenz zu einer digitalen Schachuhr trat, die die
beiderseits verbrauchte Zeit mit synthetischer Stimme spricht.
Abgesehen davon, daß die digitale Schachuhr ungleich präziser in
ihrer Zeitangabe ist, lautete das unwiderlegbare Argument des zu
dieser Zeit amtierenden I.B.C.A.-Präsidenten, Delfin Burd¡o
Gracia, zugunsten der digitalen Schachuhr mit Sprachausgabe:

"Wir dürfen uns dem Fortschritt nicht verschließen."

Die digitale Schachuhr zeigt große Zahlen für Sehbehinderte; für
Blinde ist sie darüber hinaus mit einer Sprachausgabe versehen;
die Abnahme der Sprache aus der Schachuhr kann natürlich - um
die für das Schachspiel notwendige Ruhe im Turniersaal nicht zu
stören - nur mittels Ohrhörer erfolgen. Um dem internationalen
Charakter der I.B.C.A. Rechnung zu tragen, müssen weiterhin
verschiedene Sprachen angeboten werden. Englisch und Deutsch
sind mindest-Standard, da dies die offiziellen Sprachen der
I.B.C.A. sind. Diese Erweiterung wurde folgendermaßen gefaßt:

"Eine sprechende Schachuhr, die über Englisch und Deutsch
verfügt oder Sprachen, die beiden Spielern verständlich sind,
kann in I.B.C.A.-Turnieren auch anstatt der Braille-Schachuhr
benutzt werden. Können sich die beiden Gegner nicht darüber
einigen, welcher Typ Schachuhr benutzt werden soll, gilt der
Wunsch des Spielers mit den weißen Steinen."

Natürlich ist diese Lösung unbefriedigend. Dabei mag auch eine
persönliche Sympathie oder Antipathie mitspielen, die nicht
immer beim Ablegen einer ®alten Gewohnheit¯ ganz zu unterdrücken
ist. Blinde und hochgradig sehgeschädigte Schachspieler haben
sich nun einmal seit Jahrzehnten mit der Schachuhr, die dem
®tastenden Finger¯ binnen Sekundenbruchteilen die noch zur
Verfügung stehende Zeit mitteilt, vertraut gemacht. Aber es gibt
auch durchaus ernste, reale Einwände gegen die ®sprechende
Schachuhr. Sergej Wassin, selber ausgezeichneter Schachspieler,
hundert Prozent blind und Präsident der Vereinigung
sehgeschädigter Schachspieler der Ukraine, merkt dazu an:

"Die elektronische Schachuhr hat ernste Mängel. Diese Mängel
schließen aus, sie in den offiziellen Turnieren der I.B.C.A.
zwingend vorzuschreiben.

Der Blinde braucht 15 Sekunden, um sich die Zeit sagen zu
lassen, weil die Ansage unnötigerweise immer Zeit damit verliert
zu sagen, wer am Zuge ist, wessen Zeit ausgesprochen wird und -
praktisch immer - von welcher Stundenzahl ausgegangen wird.

Die Darstellung der Ziffern ist für Sehschwache ungeeignet. Sie
beklagen, daß die Erkennung der Digitalanzeige sehr mühsam sei.
Der Produzent hat ein ganz wesentliches Axiom der
Rehabilitationstechnik außer Acht gelassen: ®Das Gerät soll den
Sehrest schützen und die optische Nutzung des noch vorhandenen
Sehrestes ermöglichen¯.

Die praktische Handhabung der Uhr ist sehr kompliziert und für
den Vollblinden nicht möglich. Fakt ist, daß zwei völlig Blinde
ohne Hilfe Dritter mit dieser Uhr nicht spielen können. Bei der
Kontrolle der einzustellenden Zeit hat der Blinde keinen Sprech-
oder Tonkontakt mit der Uhr, obwohl dies heute technisch
durchaus im Bereich des Möglichen liegt.

Durch die Kombination verschiedener Sprech- und Tonsignale muß
die Uhr dem blinden Spieler gestatten, auf Anfrage die folgenden
Informationen zu erhalten:

     a)   Bis zur Zeitkontrolle verbleiben noch drei  Minuten
          oder aber  eine Minunte - 54 Sekunden

     b)   Das Blättchen ist bereits gefallen

     c)   Die Zeiteinstellung wurde verändert

     und Ähnliches mehr.

Die Uhr ist nicht zuverlässig! Ich versuchte bislang selber
zweimal damit zu spielen - dabei einmal während der 31. FIDE-
Schacholympiade im Dezember 1994 in Moskau. Beide Male traten
Störungen an der Uhr auf.

Ich muß weiterhin anmerken, daß die Herrenmannschaft der
I.B.C.A. mehrheitlich die elektronische Schachuhr ablehnte. Ich
bin deshalb überzeugt, daß der Kongreß in dieser Angelegenheit
einen ganz beliebigen Beschluß fassen kann. Die Mehrheit der
blinden und sehgeschädigten Schachspieler wird dieses Modell der
elektronischen Schachuhr ablehnen und nicht kaufen. Sie ist
schon heute veraltet und entspricht weder dem Stand der Technik
noch den Bedürfnissen Blinder und Sehschwacher in unserer Zeit
und noch viel weniger den zu erwartenden Entwicklungen in der
Zukunft.."

Der nächste Punkt, den es in Regeln zu kleiden galt, sieht für
jeden Schachspieler ganz wie eine natürliche Notwendigkeit aus.
Hier zeigt sich aber wieder einmal eine derjenigen
Besonderheiten, die das Entstehen nationaler und internationaler
Blindenschachorganisationen erforderlich gemacht haben. Die
Aufzeichnung der Partie konnte zu Beginn der I.B.C.A.
ausschließlich in Braille-Schrift erfolgen. Erst die weitere
Entwicklung vom Tonbandgerät zum Standardcassettenrecorder  und
- vor allem - die dadurch mögliche Miniaturisierung der
Aufnahmegeräte erlaubte deren Einsatz zur Partieaufzeichnung.
Die Regel ist wie folgt gefaßt:

"Jeder Spieler hat eine geschriebene oder auf Band aufgenommene
Aufzeichnung der Partie zu führen."

Die Nutzung der modernen Technik eröffnet inzwischen sogar das
Schachbrett mit integrierter Uhr, das selbständig die gespielte
Partie aufzeichnet und die gespeicherten Daten auf Anforderung
an einen Computer abgibt. Leider ist das für Blinde und
Sehgeschädigte noch nicht verwirklicht. Die Hersteller
behaupten, daß die zu erwartende Stückzahl für eine
kostendeckende Produktion nicht ausreichend sei.

Die nächste Bestimmung ist schon oft in gegenseitigem
Einvernehmen zwischen dem Betroffenen einerseits und Gegner bzw.
Turnierleiter andererseits zur Anwendung gekommen und hat sich
auch in dieser Form gut bewährt:

"Spieler, die das Augenlicht erst vor kurzem verloren haben,
oder mehrfach behindert sind und nicht in der Lage, die üblichen
Tätigkeiten auszuführen, dürfen in Übereinstimmung mit dem
Turnierleiter einen Assistenten beantragen, der
a)   die Züge ausführen soll,
b)   die Uhr in Gang setzen soll,
c)   die Aufzeichnungen führen soll,
d)   den Spieler auf seine Bitte über die Zahl der Züge und die
     verbrauchte Zeit beider Spieler informieren soll."

Erst beim X. Kongreß im Jahre 1992 in Ca'n Picaforte auf
Mallorca (Spanien)wurde der letzte hier folgende Punkt auf
Antrag der Britischen Blindenschachorganisation angefügt, der
einen nur kleinen Einblick in die Schwierigkeiten gibt, die auch
innerhalb einer solchen Organisation auftreten; denn blind ist
nicht in jedem Falle gleich blind:

Spieler mit Sehrest haben das Recht, zusätzliche Beleuchtung zu
verlangen, falls die Beleuchtung an ihrem Tisch ungenügend ist.

Trotz aller Hemmnisse, die hier aufgelistet sind, bereitet
Schachspielen auch denen viel Freude, die die jeweiligen
Positionen mittels Tastsinn aufnehmen müssen. Wir hoffen auch
weiterhin darauf, daß die

            Fédération Internationale des Echecs

durch die Aufnahme blindenspezifischer Regelungen in ihr
Regelwerk und dadurch Verbreitung und Propagierung dieser
Besonderheiten an die F.I.D.E.-Schiedsrichter die Möglichkeit
Blinder und hochgradig Sehgeschädigter fördert, mit Freude
schachspielen zu können. Es gibt einige erfahrene I.B.C.A.-
Schiedsrichter, die auch immer wieder bei den großen I.B.C.A.-
Turnieren in Erscheinung treten. Ihnen verdankt die I.B.C.A.
sehr viel.

Leider hört man jedoch auch von Zeit zu Zeit, daß Blinde und
hochgradig Sehgeschädigte in massiver Weise diskriminiert
werden. Ich schreibe dies als Appell an die Verantwortlichen und
deren Instruktoren, nicht Äußerlichkeiten in den Vordergrund zu
stellen, sondern die Freude am Spiel höher als die kleinen
Unbequemlichkeiten beim "Spiel an zwei Brettern" Blinder
untereinander und - besonders wichtig - Blinder und hochgradig
Sehgeschädigter mit sehenden Schachspielern - in
Integrationsturnieren höher zu bewerten.

Der blinde und hochgradig sehbehinderte Schachspieler, der schon
sein Spielmaterial selber bezahlt hat, zu Turnieren selber
mitbringen muß  und oftmals noch unter platzmäßig so
eingeschränkten Bedingungen spielt, hat aber noch mehr zu
berücksichtigen:

Er ist bei Fahrten zu den Turnieren wie auch bei vielen
alltäglichen Handreichungen auf Begleitung angewiesen; das
heißt, es ist eine zweite Person erforderlich, die mitreist und
mit im Hotel wohnt. Grob gerechnet verdoppeln sich dadurch die
Teilnahmekosten an einem Schachturnier für Schachfreunde, die
blind oder hochgradig sehgeschädigt sind. Neben den physischen
Beeinträchtigungen - gibt es also ganz erhebliche finanzielle
Aufwendungen, die dem Blinden und hochgradig Sehgeschädigten
abverlangt werden, wenn er seinem Hobby frönen will. Trotz alle-
dem gibt es noch Schachfreunde, die dies tun.

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