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Info-Mail Schach Nr. 72


Hallo Schachfreunde,

die Saure-Gurken-Zeit ist vorbei. Gestern (8. Oktober) begann das
Match um die Schachweltmeisterschaft. Ich denke, wir sollten bei diesem
umstrittenen Titel für diese Veranstaltung bleiben, auch wenn es sich
nicht um die WM der FIDE handelt. Wenn man sich z.B. ansieht, wie beim
Boxen mit dem Begriff "Weltmeister" umgegangen wird, braucht man hier
kein schlechtes Gewissen zu haben. Um aber die verworrene Situation
im Weltschach zu dokumentieren habe ich eine kleine Chronik der
Ereignisse seit 1993 mit in diese Info-Mail aufgenommen.

Ganz zum Schluss gibt es noch eine kleine Rückblende auf die Olympischen
Spiele in Australien, die nicht ganz ernst gemeint ist - aber ein wenig
vielleicht doch!?

Aber zurück zur WM im Schach. Seit gestern sitzen sich in London
Kasparov und Kramnik gegenüber. Das Match ist auf 16 Partien angesetzt.
Diese 16 Partien sollen auf jeden Fall auch zu Ende gespielt werden, da
es offenbar auch Prämien für die einzelnen Partien gibt. Bei einem
Gleichstand von 8:8 würde Kasparov "seinen" Titel behalten. Es ist übrigens
das erste Mal seit 1995, dass Kasparov seinen WM-Titel verteidigt. Hat
da eigentlich nicht irgend wann einmal ein gewisser Kasparov kritisiert,
dass andere den WM-Titel zu selten am Brett verteidigen würden?

Bei der Veranstaltung in London (gespielt wird jeweils am Dienstag,
Donnerstag, Samstag und Sonntag 15:00 Uhr Ortszeit, 16:00 Uhr MESZ) geht
es um die stolze Preissumme von 2 Millionen Dollar. Pikant ist, dass bei
Beginn der ersten Partie offenbar noch nicht klar war, wie dieses
Preisgeld unter dem Sieger und dem Verlierer aufgeteilt wird.

In der ersten Partie schienen beide Spieler noch relativ friedlich
gestimmt zu sein. Sie endete nach 25 Zügen mit Remis. Beim ersten schnellen
Durchziehen konnte ich keine aufregenden Situationen entdecken, aber
urteilt einfach selbst.

Herbert Lang und ich werden jedenfalls versuchen, Euch so aktuell
wie möglich zu informieren.

Viel Spaß mit dieser Info-Mail wünscht
Toni aus Augsburg


Kasparov,G. - Kramnik,V. [C67]
Kasparov-Kramnik, London (1), 2000
1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 Sf6 4. 0-0 Sxe4 5. d4 Sd6 6. Lxc6 dxc6 7.
dxe5 Sf5 8. Dxd8+ Kxd8 9. Sc3 Ld7 10. b3 h6 11. Lb2 Kc8 12. h3 b6 13.
Tad1 Se7 14. Se2 Sg6 15. Se1 h5 16. Sd3 c5 17. c4 a5 18. a4 h4 19. Sc3
Le6 20. Sd5 Kb7 21. Se3 Th5 22. Lc3 Te8 23. Td2 Kc8 24. f4 Se7 25. Sf2
Sf5
1/2


Geschichte der Schachweltmeisterschaft 1993-2000
Kasparov   -  FIDE
1993  - Weltmeister Kasparov verständigt sich mit dem FIDE-Herausforderer
Nigel Short über einen WM-Kampf ohne die FIDE. Dieser wird in London
durchgeführt und von der Times finanziert. Kasparov gewinnt. Die von
Kasparov gegründete PCA (Professional Cheß Association) erklärt Kasparov
zum Weltmeister. Die FIDE belegt Kasparov und Short mit einem Bann
(Ausschluß aus der Elo-Wertung) und organisiert in kürzester Zeit einen
eigenen Kampf um die Weltmeisterschaft zwischen Karpov und Timmen, der in
Holland und Indonesien stattfindet. Karpov gewinnt und wird von der FIDE zum
Weltmeister erklärt.

1994  - Die PCA organisiert mit dem Geld des Sponsors Intel
Qualifikationswettkämpfe zur Ermittlung eines Herausforderers. Die FIDE
organisiert Qualifikationswettkämpfe zur Ermittlung eines Herausforderers.

1995  - Anand tritt in New York als WM Herausforderer gegen
Kasparov an. Kasparov gewinnt.

1996  - Kamsky tritt in Elista (Kalmückien) als WM-Herausforderer
gegen Karpov an. Karpov gewinnt. Der neue FIDE-Präsident Illyumshinov
erklärt, daß der WM-Modus geändert wird. Jährliche Weltmeisterschaften im
K.O.- Modus sollen die bisherige Form ablösen.

1997  - Die FIDE führt in Groningen ein K.O.-Turnier zur
Ermittlung eines Herausforderers durch. Anand gewinnt das Turnier.

1998  - Kasparov bestimmt, daß der Sieger aus dem Wettkampf
Weltranglistenzweiter (Kramnik) und Sieger Linares (Shirov) sein
Herausforderer sein soll. Shirov gewinnt in Calorza (Spanien). Der geplante
WM-Kampf platzt, da Sponsorenzusagen nicht eingehalten werden. Kasparov
erklärt, daß ein Wettkampf gegen Shirov keinen Sponsor findet und
verständigt sich mit Anand über einen WM-Kampf im Jahr 1999. Zu Beginn des
Jahres tritt Anand gegen Karpov an. Karpov gewinnt im Stichkampf.
Noch im gleichen Jahr möchte die FIDE ein weiteres K.O.-Turnier
um die WM durchführen, bei dem die Rechte des Titelinhabers beschnitten
werden sollten. Karpov interveniert. Die FIDE verschiebt die WM.

1999  - Der geplante WM-Kampf mit Anand platzt, da kein Sponsor
gefunden wird. Die FIDE führt in Las Vegas eine WM im K.O.-Modus durch.
Alexander Khalifman wird überraschend FIDE-Weltmeister 1999.

2000  - In England finden sich Sponsoren, die in London einen
WM-Kampf mit Kasparov finanzieren möchten. Anand lehnt eine Teilnahme als
Herausfordere ab. Als nächster wird Kramnik gefragt, der seine Zusage gibt.
Die FIDE kündigt eine K.O.- WM an, die in Indien und Iran stattfinden soll.


Olympia und Schach

Das Königsspiel

Um es kurz zu machen: er ist hier. Ja, ehrlich, hier in Sydney. Kirsan
Iljumschinow, der Herrscher von Kalmykien und Freund aller Mächtigen
der Erde. Wir haben doch die Fotos im Internet gesehen: Iljumschinow
mit Hussein, Iljumschinow mit Samaranch, Iljumschinow mit dem Papst.
Jetzt ist er hier. G'day, Mister President, how are you today?

Lange hat man nichts von ihm gehört, seit er sang- und klanglos bei
der Wahl des Nachfolgers von Boris Jelzin in Russland gescheitert war.
Nicht zu vergleichen dieser Untergang mit der genialen Kampagne damals
in Kalmykien. Hat jedem Bewohner des Steppenstaates am Kaspischen Meer
100 Dollar auf die Hand versprochen und ein Handy obendrein. Egal,
jetzt ist er hier. In Sydney.

Natürlich nicht als Privatmann, das ist klar. Iljumschinow hat
Verpflichtungen und als Präsident des internationalen Schachbundes
Fide auch einen großen Traum: sein Denkspiel soll olympisch werden.
Nicht lachen jetzt. Letztes Jahr hat er dem IOC-Chef Samaranch schon
die offizielle Anerkennung des Schachspiels als Sport abgeluchst.
Unter Nachbarn quasi, denn die Fide residiert in IOC-Nähe in Lausanne.
Jetzt heißt es weiter werben. Ein Demonstrationsmatch mit dem
indischen Großmeister Viswanathan Anand im olympischen Dorf war nur
der erste Schritt. Und weitere Argumente hat der Rubelmillionär
bekanntlich immer in der Hinterhand.

Wünschen wir ihm Glück. Schach bei Olympia, das hätte seinen Reiz.
Gesunder Geist in schmächtigen Körpern. Das Gegenteil von Gewichtheben
sozusagen. Das Eisenstemmen soll aus den bekannten Gründen angeblich
sowieso aus dem Olymp verjagt werden. Und wer Schach langweilig
findet, hat noch nie Segeln gesehen. Iljumschinow ist auf dem
richtigen Weg. Jetzt bloß nicht nachlassen.

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