Hallo Schachfreunde, die Saure-Gurken-Zeit ist vorbei. Gestern (8. Oktober) begann das Match um die Schachweltmeisterschaft. Ich denke, wir sollten bei diesem umstrittenen Titel für diese Veranstaltung bleiben, auch wenn es sich nicht um die WM der FIDE handelt. Wenn man sich z.B. ansieht, wie beim Boxen mit dem Begriff "Weltmeister" umgegangen wird, braucht man hier kein schlechtes Gewissen zu haben. Um aber die verworrene Situation im Weltschach zu dokumentieren habe ich eine kleine Chronik der Ereignisse seit 1993 mit in diese Info-Mail aufgenommen. Ganz zum Schluss gibt es noch eine kleine Rückblende auf die Olympischen Spiele in Australien, die nicht ganz ernst gemeint ist - aber ein wenig vielleicht doch!? Aber zurück zur WM im Schach. Seit gestern sitzen sich in London Kasparov und Kramnik gegenüber. Das Match ist auf 16 Partien angesetzt. Diese 16 Partien sollen auf jeden Fall auch zu Ende gespielt werden, da es offenbar auch Prämien für die einzelnen Partien gibt. Bei einem Gleichstand von 8:8 würde Kasparov "seinen" Titel behalten. Es ist übrigens das erste Mal seit 1995, dass Kasparov seinen WM-Titel verteidigt. Hat da eigentlich nicht irgend wann einmal ein gewisser Kasparov kritisiert, dass andere den WM-Titel zu selten am Brett verteidigen würden? Bei der Veranstaltung in London (gespielt wird jeweils am Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag 15:00 Uhr Ortszeit, 16:00 Uhr MESZ) geht es um die stolze Preissumme von 2 Millionen Dollar. Pikant ist, dass bei Beginn der ersten Partie offenbar noch nicht klar war, wie dieses Preisgeld unter dem Sieger und dem Verlierer aufgeteilt wird. In der ersten Partie schienen beide Spieler noch relativ friedlich gestimmt zu sein. Sie endete nach 25 Zügen mit Remis. Beim ersten schnellen Durchziehen konnte ich keine aufregenden Situationen entdecken, aber urteilt einfach selbst. Herbert Lang und ich werden jedenfalls versuchen, Euch so aktuell wie möglich zu informieren. Viel Spaß mit dieser Info-Mail wünscht Toni aus Augsburg Kasparov,G. - Kramnik,V. [C67] Kasparov-Kramnik, London (1), 2000 1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 Sf6 4. 0-0 Sxe4 5. d4 Sd6 6. Lxc6 dxc6 7. dxe5 Sf5 8. Dxd8+ Kxd8 9. Sc3 Ld7 10. b3 h6 11. Lb2 Kc8 12. h3 b6 13. Tad1 Se7 14. Se2 Sg6 15. Se1 h5 16. Sd3 c5 17. c4 a5 18. a4 h4 19. Sc3 Le6 20. Sd5 Kb7 21. Se3 Th5 22. Lc3 Te8 23. Td2 Kc8 24. f4 Se7 25. Sf2 Sf5 1/2 Geschichte der Schachweltmeisterschaft 1993-2000 Kasparov - FIDE 1993 - Weltmeister Kasparov verständigt sich mit dem FIDE-Herausforderer Nigel Short über einen WM-Kampf ohne die FIDE. Dieser wird in London durchgeführt und von der Times finanziert. Kasparov gewinnt. Die von Kasparov gegründete PCA (Professional Cheß Association) erklärt Kasparov zum Weltmeister. Die FIDE belegt Kasparov und Short mit einem Bann (Ausschluß aus der Elo-Wertung) und organisiert in kürzester Zeit einen eigenen Kampf um die Weltmeisterschaft zwischen Karpov und Timmen, der in Holland und Indonesien stattfindet. Karpov gewinnt und wird von der FIDE zum Weltmeister erklärt. 1994 - Die PCA organisiert mit dem Geld des Sponsors Intel Qualifikationswettkämpfe zur Ermittlung eines Herausforderers. Die FIDE organisiert Qualifikationswettkämpfe zur Ermittlung eines Herausforderers. 1995 - Anand tritt in New York als WM Herausforderer gegen Kasparov an. Kasparov gewinnt. 1996 - Kamsky tritt in Elista (Kalmückien) als WM-Herausforderer gegen Karpov an. Karpov gewinnt. Der neue FIDE-Präsident Illyumshinov erklärt, daß der WM-Modus geändert wird. Jährliche Weltmeisterschaften im K.O.- Modus sollen die bisherige Form ablösen. 1997 - Die FIDE führt in Groningen ein K.O.-Turnier zur Ermittlung eines Herausforderers durch. Anand gewinnt das Turnier. 1998 - Kasparov bestimmt, daß der Sieger aus dem Wettkampf Weltranglistenzweiter (Kramnik) und Sieger Linares (Shirov) sein Herausforderer sein soll. Shirov gewinnt in Calorza (Spanien). Der geplante WM-Kampf platzt, da Sponsorenzusagen nicht eingehalten werden. Kasparov erklärt, daß ein Wettkampf gegen Shirov keinen Sponsor findet und verständigt sich mit Anand über einen WM-Kampf im Jahr 1999. Zu Beginn des Jahres tritt Anand gegen Karpov an. Karpov gewinnt im Stichkampf. Noch im gleichen Jahr möchte die FIDE ein weiteres K.O.-Turnier um die WM durchführen, bei dem die Rechte des Titelinhabers beschnitten werden sollten. Karpov interveniert. Die FIDE verschiebt die WM. 1999 - Der geplante WM-Kampf mit Anand platzt, da kein Sponsor gefunden wird. Die FIDE führt in Las Vegas eine WM im K.O.-Modus durch. Alexander Khalifman wird überraschend FIDE-Weltmeister 1999. 2000 - In England finden sich Sponsoren, die in London einen WM-Kampf mit Kasparov finanzieren möchten. Anand lehnt eine Teilnahme als Herausfordere ab. Als nächster wird Kramnik gefragt, der seine Zusage gibt. Die FIDE kündigt eine K.O.- WM an, die in Indien und Iran stattfinden soll. Olympia und Schach Das Königsspiel Um es kurz zu machen: er ist hier. Ja, ehrlich, hier in Sydney. Kirsan Iljumschinow, der Herrscher von Kalmykien und Freund aller Mächtigen der Erde. Wir haben doch die Fotos im Internet gesehen: Iljumschinow mit Hussein, Iljumschinow mit Samaranch, Iljumschinow mit dem Papst. Jetzt ist er hier. G'day, Mister President, how are you today? Lange hat man nichts von ihm gehört, seit er sang- und klanglos bei der Wahl des Nachfolgers von Boris Jelzin in Russland gescheitert war. Nicht zu vergleichen dieser Untergang mit der genialen Kampagne damals in Kalmykien. Hat jedem Bewohner des Steppenstaates am Kaspischen Meer 100 Dollar auf die Hand versprochen und ein Handy obendrein. Egal, jetzt ist er hier. In Sydney. Natürlich nicht als Privatmann, das ist klar. Iljumschinow hat Verpflichtungen und als Präsident des internationalen Schachbundes Fide auch einen großen Traum: sein Denkspiel soll olympisch werden. Nicht lachen jetzt. Letztes Jahr hat er dem IOC-Chef Samaranch schon die offizielle Anerkennung des Schachspiels als Sport abgeluchst. Unter Nachbarn quasi, denn die Fide residiert in IOC-Nähe in Lausanne. Jetzt heißt es weiter werben. Ein Demonstrationsmatch mit dem indischen Großmeister Viswanathan Anand im olympischen Dorf war nur der erste Schritt. Und weitere Argumente hat der Rubelmillionär bekanntlich immer in der Hinterhand. Wünschen wir ihm Glück. Schach bei Olympia, das hätte seinen Reiz. Gesunder Geist in schmächtigen Körpern. Das Gegenteil von Gewichtheben sozusagen. Das Eisenstemmen soll aus den bekannten Gründen angeblich sowieso aus dem Olymp verjagt werden. Und wer Schach langweilig findet, hat noch nie Segeln gesehen. Iljumschinow ist auf dem richtigen Weg. Jetzt bloß nicht nachlassen.