Hallo Schachfreunde, wir haben erst vor kurzem über den Wettkampf Kasparov gegen Kramnik in London berichtet und das Aufeinandertreffen der Nr. 1 und 2 der Weltrangliste als "WM" bezeichnet. Diese Formulierung wurde auch in (fast) allen Medien verwen- det; aber der Weltschachbund FIDE sieht dies anders - in Neu Delhi (Indien) begann jetzt die (offizielle FIDE-) WM. Ihr findet anschließend einige Fernsehtermine und die ersten Berichte von Christopher Lutz. Auch blinde Schachspieler waren am vergangenen Wochenende im Einsatz. Der Blindenschachklub Frankfurt veranstaltet seit 1996 ein sog. Integrations- turnier, das gleichzeitig die Schnellschachmeisterschaft des Bezirks 5 in Frankfurt ist. Erfreulich das ständig wachsende Interesse mit der dies- jährigen Rekordteilnahme von 44 Spielern. Enttäuschend, dass dieses Mal nur vier DBSB-Leute am Start waren. Gert Schulz (Heidelberg), der das Turnier 1996 und 1997 gewinnen konnte, erzielte 5 Punkte aus 7 Partien und verfehlte mit Platz 7 einen Geldpreis um einen halben Punkt. Die weiteren Platzierungen: 19.Werner Fries (Frankfurt) 4,0 Punkte - 9.-19. 21.Heinz Engl (München) 3,5 Punkte - 20.-26. 32.Manfred Gaußmann (Frankfurt) 3,0 Punkte - 27.-35. Aus dem fast frühlingshaften Leimen grüßt herbert lang SCHACH IM FERNSEHEN Helmut Pfleger und Claus Spahn werden im WDR-Fernsehen in neun Extrasendungen von der WM berichten und interessante Partien vorstellen. Sendetermine (jeweils Nachts, z.B. 30.11. auf 1.12. das 1. Mal):(ohne Gewähr) 1.12. (0.15-1.00), 4.12. (0.00-0.30), 8.12. (0.30-1.00), 11.12. (0.00-0.30), 15.12. (0.30-1.00), 18.12. (0.00-0.30), 21.12. (0.30-1.15), 23.12. (0.45-1.30), 28.12. (0.45-1.30), Wiederholung aller Sendungen am 2.1.2001, 0.30 bis 6.30 Uhr INTERNETSEITE - www.gm-schach.de Am Montag, dem 27.November 2000 findet in Neu Dehli die erste Runde der FIDE-Schachweltmeisterschaft 2000 statt. Ketino Kachiani-Gersinska hat sich bei den Frauen qualifiziert. Bei den Herren ist GM-Schach Gesellschafter Christopher Lutz einziger deutscher Teilnehmer. Christopher wird telefonisch aus Neu Delhi (und vielleicht auch aus Teheran) berichten. Nach seiner Rückkehr wird er die WM ausführlich Revue passieren lassen. Alle Partien beginnen um 13.30 Uhr Ortszeit = 9.00 Uhr Mitteleuropäischer Zeit Beim Tiebreak: 2 Partien ß 25 Min+ 10 Sek./Zug, dann 2 Partien ß 15 Min+10 Sek/Zug, dann maximal 4 Blitzpartien (Weiß 4 Minuten, Schwarz 5 Minuten). Sind auch die alle Remis - Blitzpartie mit 6 geg.5 Min. Weiß muß gewinnen. Samstag, 25. November Gegen 13.00 Uhr heute war es soweit: Christophers erster Anruf aus Indien. Ich hoffe, dass trotz schlechter Verbindung das Wesentliche übermittelt wurde. Interessant war, dass wir hier mehr über die Auslosung wußten, als die Teilnehmer vor Ort in Indien. Christopher erfuhr also erst heute, dass er - Weiterkommen vorausgesetzt - Alexander Khalifman in der 2. Runde zum Ex-Weltmeister machen kann. Nachfolgend der Kurzbericht von Christopher Lutz: Am Mittwoch in aller Herrgottsfrühe ging es für mich via Frankfurt und Wien nach Neu Delhi. Mit dabei Ketino Kachiani-Gersinska, die im Damenwettbewerb in der ersten Runde gegen ihre frühere Landsfrau Javakhishvili aus Georgien antreten muß, und Bundestrainer Uwe Bönsch. Auf dem Flughafen Wien trafen wir Judit Polgar, die aber nicht nach New Delhi sondern nach New York unterwegs war. Judit hatte noch auf eine Einladung gehofft, hatte aber keine Wildcard bekommen. In New Delhi wohnen wir im Hyatt Regency Hotel, in dem auch gespielt wird. Im Nachhinein bin ich relativ froh darüber, denn die Gegend um unser Hotel lud bei unseren ersten Erkundungen nicht gerade zum Lustwandeln ein. Am ersten Tag waren wir - bezogen auf die Schachspieler - noch nahezu allein im Hotel. Am nächsten Tag trudelten dann nach und nach die anderen Spieler ein. So konnte ich zum Beispiel Mickey Adams und Peter Leko begrüßen. Am Sonntag um 16.00 Uhr Ortszeit ist das Players Meeting angesetzt. Abends folgt dann die offizielle Eröffnungsfeier. Zur deutschen Zeit gibt es eine Zeitdifferenz von 4,5 Stunden. Die erste Runde wird also nach deutscher Zeit am Montagmorgen stattfinden. Ich werde mich nach meiner Partie gegen den Iraner Ghaem melden. Drückt mir die Daumen ! Montag, 27. November Ein naturgemäß etwas enttäuschter Christopher Lutz meldete sich telefonisch aus Indien. Die Deutsche Telekom hatte heute schon gewarnt. Die Verbindungen von und nach Indien sind extrem schwankend. So konnte Christopher auch nur bruchstückweise übermitteln, was heute in seiner Partie gegen den Iraner Ghaem Maghami passierte: Christopher Lutz: Mein Auftakt heute war sicher nicht berauschend. Mein Gegner, den ich keineswegs unterschätzt habe, spulte eine Theorievariante im Najdorf-Sizilianer. 18...Dc7 war für mich neu. Ich kannte nur eine Partie Kasparow-Huzman. Der Fehler lag meiner Meinung nach im 20.Zug, als ich 20.Sd2 zog. Besser war hier 20.f4, ein Zug der mir am Brett nicht gefallen hatte. Nach der Partiefolge verlor ich den Bauern auf d5 und entschloß mich, das Remisangebot meines Gegners anzunehmen, obwohl ich für den Bauern noch etwas Kompensation habe. Während der Partie gab es zweimal einen Stromausfall, wodurch wahrscheinlich auch die Partien nicht direkt übertragen werden konnten. Ketino Kachiani-Gersinska konnte heute mit Schwarz ihre Partie gewinnen. Die größte Überraschung für mich war die Weißniederlage von Joel Lautier gegen Leitao. Dienstag, 28. November Wieder Najdorf, diesmal mit anderer Farbverteilung. Christopher Lutz spielte heute wieder Remis gegen seinen iranischen Kontrahenten. In einem kurzen Telefongespräch schildert er den heutigen Tag: Wenn Sie vielleicht am Morgen um 9.00 Ihre Arbeit beginnen, oder vielleicht die erste Frühstückspause haben, geht für uns in New Delhi die Partie los. Wir beginnen um 13.30 Uhr Ortszeit. Davor liegt für uns natürlich die Vorbereitung. Für uns in Indien nicht zu vergessen: die Malaria-Prophylaxe. Uwe Bönsch und Ketino Kachiani-Gersinska und ihr Mann nehmen nur wöchentlich Tabletten. Ich muss einmal wöchentlich und dazu täglich ran. In der Männer-Konkurrenz konnten Lautier und Sutovsky die Niederlagen von gestern nicht mehr umbiegen. Die ersten Überraschungen neben der Niederlage von Jungstar Ponomariov gegen Dao Thien Hai. Bei den Frauen gab es deren um so mehr: So schieden beispielsweise die Chinesin Zu Chen und die Georgierinnen Gurieli und Khurtsidze aus. Ketino Kachinai-Gersinska konnte Ihre schlecht stehende Partie heute mit einem Bauern weniger im Turmendspiel remisieren und zieht in die zweite Runde ein. Ich hoffe, Ihr morgen nachzufolgen, indem ich die Tie-Break Partien zu meinen Gunsten entscheiden kann. In der Partie heute ging mein Gegner direkt mit der Schaukel Lg5, Lc1,Lg5 auf eine Zugwiederholung aus, aber ich wollte natürlich noch spielen. Ich hatte die Stellung nach Sd5 irgendwann einmal analysiert, konnte mich aber nicht mehr genau daran erinnern. In der Endstellung bot mir mein Gegner Remis an, was ich annahm. Es ist höchstens Weiß, der Chancen hat. Er kann einen Plan mit f4 verfolgen. Mittwoch, 29. November Wenn man Menschen ganz gut kennt, hört man meistens schon an der Stimme, wie es dem Gegenüber geht. Trotz des unendlichen Rauschens in der Telefonverbindung konnte ich sofort merken, dass da ein erleichterter Christopher Lutz am anderen Ende der Leitung war. Christopher schildert im Nachhinein kurz seine Eindrücke von heute: Ehsan Ghaem Maghami hat mir das Leben ganz schön schwer gemacht. In der ersten Partie stand ich nach der Eröffnung schlechter. Nach und nach konnte ich in ein Endspiel abwicklen, bei dem ich zum Schluß einen Bauern weniger hatte. Dieses Endspiel ist aber kaum oder nicht zu gewinnen. Mit der zweiten Partie (Bedenkzeit war übrigens 25 Minuten pro Spieler plus 10 Sekunden pro Zug) war ich schon eher zufrieden. Natürlich darf man aber bei Schnellpartien nicht zu sehr auf die Qualität achten. Dazu kommt der Druck des KO-Systems. Im 45. Zug musste mein Gegner die Qualität geben, um nicht nach ...Kb5 46.Td5+ Ka6 47.Lc4+ Kb7 48.Lxe2 eine Figur zu verlieren. Danach habe ich das Endspiel gut behandelt und konnte in die 2. Runde einziehen. Mein Gegner dort ist mein Klubkamerad aus Porz, Alexander Khalifman, immerhin der amtierende FIDE-Weltmeister. Nach etwas Ausruhen werde ich mich noch mit Uwe Bönsch auf die Partie vorbereiten.