Hallo Schachfreunde, eine vom Umfang rekordverdächtige eMail aus Leimen - obwohl nur über ein Schachereignis berichtet wird. Aber wann gibt es schon eine Reportage über die Schach-WM, in der von Rikscha, Kuh, Elefant, Stromausfall, Geburtstags- torte und 30 Fernsehkameras beim Schach die Rede ist ? Vorher könnt ihr in knapper Form die Schachergebnisse aus Neu-Delhi lesen. Bleibt zu hoffen, dass das Herrenfinale in Teheran/Iran reibungslos über die Bühne geht. Die einleitende Notiz über das verweigerte Visum scheint die kritischen Stimmen im Vorfeld der WM zu bestätigen. Am kommenden Mittwoch startet die erste Finalpartie, am 23.12. ist Ruhetag, vom 24. bis 26. (evtl. 27.) Dezember wird Schach gespielt - geruhsame(re) Festtage wünscht herbert lang Unerwünscht: Der WDR In Deutschland gibt es nur einen Sender, der regelmäßig über Schach berichtet: der WDR. Für die Berichterstattung über die FIDE-Weltmeisterschaft wollte WDR-Redakteur Dr.Claus Spahn in den Iran reisen und hatte deshalb schon vor einiger Zeit bei der Botschaft in Berlin ein Visum beantragt. Jetzt bekam er ohne jeden Kommentar seinen Pass zurück. Homepage www.schach.com - Freitag, 15.12.00 Xie Jun Weltmeisterin Mit einem ungefährdeten Remis verteidigte die Chinesin Xie Jun ihren Weltmeistertitel und gewann mit 2,5-1,5 das Match gegen ihre Landsmännin Qin. Eindrucksvoll ihre gesamte WM-Vorstellung. Ohne eine einzige Verlustpartie kam sie nie in ernsthafte Schwierigkeiten. Zweimal, gegen Matveeva in Runde 2 und Kavalevskaya in Runde 6 mußte sie in den Tie-Break; der Rest war Überlegenheit. Finale Anand gegen Shirov Ein Remis reichte Anand um seinen Vorsprung gegen Adams in den Matchgewinn umzuwandeln. Mit Weiß wählt er einen Spanier, mit dem er auch in der vorletzten Partie gute Erfahrungen machte. Adams versucht dem Spiel etwas Tempo zu geben. Doch kurz vor der Zeitkontrolle ist das Remis perfekt. Der erste Finalist ist der Inder. Viswanathan Anandīs Sieg wird in Indien wahre Jubelstürme auslösen. Auch Schirow kommt mit einem Remis weiter. Doch Grischuk war es, der lange besser stand. Erst eine Dauerschachmöglichkeit des Wahlspaniers führte zum Remis. Grischuk bewies in dem Match eindruckvoll, daß er im Spitzenschach seinen Platz gefunden hat. Die vier Partien Schriow - Grischuk gehören zu den Delikatessen dieser WM und beanspruchen einen Platz in Schirows Partiensammlung "Fire on Board". Der 17-jährige Grischuk spielte wie ein Weltmeister der Zukunft, der 28-jährige wie ein Anwärter der Gegenwart. Ein Traumfinale steht uns damit ab 20. Dezember in Teheran ins Haus. Mit Anand und Schirow stehen sich, von Kramnik und Kasparov abgesehen, die zwei beeindruckendsten Schachspieler der letzten Jahre gegenüber. Lesenswerter WM-Bericht der Zeitschrift SCHACH von Dirk Poldauf Fide-Weltmeisterschaft Viertelfinale 1. Tag "Rikscha-people are bad people", wird mir von den Einheimischen immer wieder eingeschärft. Aber da ich immer noch Probleme habe, in der Dunkelheit das Internetcafe im Zentrum der Stadt zu finden, von dem aus ich im Notfall die Berichte sende, bin ich immer wieder auf ihre Dienste angewiesen. Es ist 22.30 Uhr, das Basarleben tobt noch; vor dem Eingang steht eine Kuh. Gestern habe ich vor dem Hyatt Regency, der Austragungsstätte der WM und Wohnort der Spieler, im fliessenden Verkehr einen Elefanten gesehen. Im grossen Duell des Lokalmatadoren mit dem Weltmeister hat sich Vishy Anand heute nicht mit Ruhm bekleckert. "So ist das nun mal im Schach, man kann nicht jede Partie gewinnen", beschied Vishy sichtlich gereizt die etwa 20 indischen Journalisten, die von ihm beständig wissen wollten, warum er seinen Gegner mit Weiss nicht einfach besiegt hatte. Khalifman spielte weder Sizilianisch noch Französisch, wie bei anderen Gelegenheiten gg. Anand, sondern völlig überraschend den Marshallangriff der Spanischen Partie! Das theoretische Duell ging klar an den Russen. Ich traf Khalifman etwa eine Stunde nach der Partie im Hotel. "Ist doch klar, dass ich gut vorbereitet bin, wenn es eine aktuelle Partie meines Gegners in dieser Variante gibt." Er meinte damit die Begegnung Anand-Adams aus Dortmund in diesem Jahr. Anand sagte in der kurzen Pressekonferenz, dass er (statt damals Turm schlägt e8, glaube ich) diesmal nicht Läufer e3 spielen wollte, weil er diesen Zug selbst in den Kommentaren zu o. g. Partie vorgeschlagen hatte (offenbar bezieht er sich dabei auf seine Analyse in "Schach" 8/2000). Khalifman hatte allerdings auch Läufer d2 antizipiert und bestätigte mir gegenüber, dass er den gesamten Partieverlauf bereits zu Hause auf dem Analysebrett hatte. Und wenn er an einer Stelle (dazu mehr in "Schach" 1/01) etwas anderes gespielt hätte, wäre er dann nicht in Vorteil gekommen? Er schien nur auf diese Frage gewartet zu haben und erklärte sichtlich vergnuegt, dass dies der Fall sei, aber Weiss hätte sich ausreichend verteidigen können, wie er ebenfalls lange vorher herausgefunden habe. Vishy wird sich gegen diesen Khalifman etwas besonderes einfallen lassen müssen. Der stellt ein anderes Kaliber dar als Bologan, Lputjan oder Macieja (bei allem Respekt vor den genannten Spielern). Sehr zufrieden zeigte sich auch Wladislaw Tkatschiew mit seinem Schwarzremis gegen Grischuk. "Dieser Grischuk ist so jung (17 Jahre), der wird mit jedem Tag, nein, mit jeder Stunde besser!" Er hätte in "Schach" 12/2000 gelesen, dass Kasparow ihn der Unterstützung für Kramnik beschuldige. Dies sei völlig falsch, so der Kasache, nie habe er auch nur eine Sekunde mit Kramnik gearbeitet. "Vielleicht dachte Kasparow das, weil ich auch Spanisch mit Läufer c5 spiele", amüsierte sich der Sonnyboy aus Cannes. Keinen guten Tag erwischte Schirow, der gegen Barejew m. E. unkluger Weise das Angenommene Damengambit wählte, wonach der Moskauer sofort die Damen tauschte und nur die Varianten herunterzuspulen brauchte, die er in London im Kramnik-Team bis zur Besinnungslosigkeit analysiert hatte. Im übrigen fiel heute wieder mehrfach der Strom aus. Unter anderem auch zweimal in der Zeitnotphase, zum Beispiel genau in dem Moment, als Schirow nur noch 40 Sekunden (plus Bonus) für mehrere Züge hatte. "Schreiben Sie über die Stromausfälle", zischte ein sichtlich erregter Surab Asmaiparaschwili zu mir herüber. "Es sollte eine Klausel in den Vertrag mit dem Ausrichter geschrieben werden, dass dieser pro Stromausfall eine Strafe zu zahlen hat, dann würde das nicht mehr so leicht passieren." Tkatschiew meinte im übrigen noch, dass Topalow gegen Adams zeitweise sehr komfortabel gestanden haben musste. Doch letztlich kam Mickey aus den Schlagoperationen mit einem Mehrbauern heraus. 2. Tag Die Partie Khalifman-Anand war eine glatte Enttäuschung. Nach 17 Zügen war das Remis unterschrieben. Beide haben offenbar nichts gegen einen Tiebreak einzuwenden. Vishys Pressekonferenz, die wenig Neues bot ("Khalifman ist ein sehr starker Spieler") dauerte nur wenige Minuten, dann bahnte sich der Lokalmatador seinen Weg durch die schätzungsweise 30 indischen Journalisten und entschwand. Alexej Schirow erledigte Jewgeni Barejew, der seine gewohnte Zähigkeit vermissen liess, in nur 29 Zügen. Alexejs kurzen Auftritt im Pressezentrum habe ich leider verpasst, da ich im Turniersaal die aktuellen Geschehnisse verfolgte. Dass Barejews Läufer g5 (Schach) ein Tempoverlust war, weil er das ohnehin geplante f2-f4 provozierte, wage ich dennoch zu behaupten. Noch viel früher waren Wladislaw Tkatschiew und Alexander Grischuk fertig, die sich das zweite kurze Remis gegeneinander leisteten. Die unsäglichen Fide-Regularien, bei denen der Verlierer eines Matches im Tiebreak vom Gegner Prozente kassiert, fördert diese Friedfertigkeit. De facto waren zwei der vier Viertelfinalvergleiche klar enttäuschend. Ausgeschieden ist Wesselin Topalow, der Michael Adams' Russische Verteidigung nicht knacken konnte. Morgen wird es interessanter - das lässt sich versprechen. Drei der Viertelfinalkämpfe werden im Tiebreak entschieden. Im Mittelpunkt des Interesses das Duell Anand-Khalifman, das auch vom eröffnungstheoretischen Standpunkt sehr interessant werden könnte. Der Weltmeister, der meines Wissens keinen Sekundanten mehr vor Ort hat, verfügt über das breiter gefächerte Eröffnungsrepertoire und präsentierte sich mental bisher äusserst standfest. Über die Schnellschachqualitäten von Anand (sekundiert von Elizbar Ubilawa) muss nicht weiter gesprochen werden. Stichkämpfe Ein für Schachveranstaltungen rekordverdächtiger Presseaufmarsch begleitete das Tiebreak-Duell zwischen dem Lokalmatadoren Viswanathan Anand und dem Weltmeister Alexander Khalifman. In der ersten Partie verschmähte Khalif einen Qualitätsgewinn, weil ihm gegnerische Kompensation offenbar als zum Remis ausreichend erschien. In der zweiten Partie war der Russe ebenfalls am Drücker, überspielte Anand und verdarb die Partie im Endspiel. In der dritten Begegnung konnte ich der aufgeregten Aruna Anand nach Läufer c6 mitteilen, dass ihr Vishy sicher gewinnen wird. Und so kam es auch. In der vierten Partie entwickelte Khalifman mit dem Läuferpaar sehr viel Druck, aber Anand konnte das Remis behaupten. Was danach losbrach, ist unbeschreiblich. Bereits zuvor hatten sich etwa 30 Fernsehkameras auf den Durchgang ausgerichtet, durch den Anand den Kampfschauplatz verlassen musste. Die Organisatoren trugen eine Geburtstagstorte herein, die Geburtstagskind Vishy, er wurde heute 31, im Blitzlichtgewitter anschnitt. Ein einziges Drängeln und Rempeln unter den Dutzenden Journalisten um die besten Plätze. Anands Halbfinalpartien gegen Adams sollen live im Fernsehen gezeigt werden, bestätigte mir ein indischer Schachfunktionär. Gegen Adams hat Anand immer gut ausgesehen. Es scheint so, als könne sein Traum vom Weltmeistertitel in Erfüllung gehen. Zumindest war der heutige Tag ein Glückstag für ihn, denn er hätte die zweite Schnellpartie verlieren müssen (und wäre damit raus gewesen). Ich traf Alexander Khalifman beim Verlassen des Fide-Büros. "Wieder ein Turmendspiel, wieder gegen Anand", sinnierte der Mann aus St. Petersburg. Die Sensation des Turniers ist das Vordringen des 17-jährigen Alexander Grischuk in das WM-Halbfinale. Ich war gerade bei ihm im Grand Hyatt Hotel und habe ein Interview mit ihm wie auch seinem Gegner Wladislaw Tkatschiew geführt, das in "Schach" 1/01 publiziert wird. Schirow hatte gegen Barejew im Tiebreak erstaunlich wenig Probleme. In der ersten Partie überrannte er den Moskauer förmlich, im Rückkampf konnte er aus leicht schlechterer Stellung heraus remis halten. "Der bessere Spieler hat sich verdient durchgesetzt", kommentierte Barejew lakonisch. Und was war mit der ersten Normalpartie? "Da habe ich einfach Glück gehabt." Mir scheint, dass Schirow einfach über den grösseren Siegeswillen verfügte. Im Turniersaal wurde bereits umgebaut. Die letzten Matches, Anand-Adams, Schirow-Grischuk sowie das chinesische Frauenfinale Xie Jun-Qin Kanying werden auf einer eigens eingerichteten Bühne ausgetragen. Das Halbfinale werde ich indessen nicht mehr live vor Ort erleben. Mein Flugzeug geht in wenigen Stunden. Auf dem Weg zum Turniersaal legte mich mein Fahrer Raj (sprich Radsch) einen kurzen Zwischenstopp ein, so dass ich auf die Schnelle noch einige der wohl unvermeidlichen Indien-Souvenirs einsacken konnte. Grischuk, der sich einiges in Neu Delhi angeschaut hatte, sagte mir, dass er einen guten Eindruck vom Land habe und dass die Leute hier "normal" leben würden, jedenfalls besser als er dachte. Ein Moskauer sieht die Dinge offenbar aus einem anderen Blickwinkel. Ich für meinen Teil hätte eine derartige Armut, wie ich sie hier erlebt habe, im 20. Jahrhundert nicht für möglich gehalten. Sei dem wie es sei. Ich belasse es bei diesen Eindrücken vom heutigen Tage, der für das Schach in Indien ein Glückstag war, verabschiede mich von den Lesern und verweise auf den ausführlichen WM-Bericht in der nächsten Ausgabe von "Schach", die noch vor Weihnachten auf Ihrem Tisch liegen wird. Halbfinale Während sich Michael Adams und Viswanathan Anand in einer Russischen Partie schnell auf ein Unentschieden einigen, muss der 17jährige Alexander Grischuk gegen Alexej Schirow seine erste Niederlage in Neu-Delhi hinnehmen. Es wird schwer für den Youngster! In der zweiten Begegnung hatte Michael Adams dem Spanier von Anand scheinbar nichts entgegenzusetzen, er wurde ziemlich brutal an die Wand gespielt. Alexander Grischuk zeigte ein stabiles Nervenkostüm und schlug zurück. Begünstigt wurde er durch einen Turmeinsteller von Schirow, allerdings war die Stellung des Letten ohnehin schon schwierig zu verteidigen. In der dritten Partie verteidigte sich Viswanathan Anand wieder Russisch. Adams besass zwar die ganze Partie über die Initiative, die Remisbreite war aber wahrscheinlich nie überschritten. Das Match Schirow-Grischuk sah bereits die dritte entschiedene Partie. Mit einem starken Figurenopfer stiess Schirow die Tür zum Finale weit auf. In der abschließenden vierten Partie verteidigten Anand und Schirow ihren Ein-Punkt-Vorsprung mit einem Unentschieden. Sie spielen ab Mittwoch, 20. Dezember das Finale der Fide-Weltmeisterschaft in Teheran aus.