Hallo Schachfreunde, neben den Ergebnissen der 4. Runde aus Mondariz gibt es in dieser Ausgabe nochmals einen ausführlichen Artikel über Bobby Fischer. Es ist schon erstaunlich, in welchem Umfang sich die Medien mit dem "Genie" beschäftigen. Viel Spaß beim Lesen wünscht Herbert Lang Einladungsturnier 2004 in Mondariz (ESP) 31.08.2004 bis 08.09.2004 Rundenturnier - Turnierleiter: Frantisek Blatny 4. Runde am Freitag, 03.09.2004 Dukaczewski,Piotr...... - Pohlers,Jürgen......... 1,0:0,0 Nizam,Rasim............ - Zsiltzova-Lisenko,Lubov 1,0:0,0 Krylov,Sergey.......... - Draghici,Gavril........ 1,0:0,0 Zoltek,Tadeusz......... - Rositsan,Boris......... 0,5:0,5 Trkaljanov,Vladimir.... - Palacios Perez,Manuel.. 0,5:0,5 UNHEIMLICHES GENIE (SPIEGEL ONLINE von Wieland Wagner) In der Nähe von Tokio sitzt Schach-Guru Bobby Fischer in Abschiebehaft. Eine treue Fangemeinde tut alles, um seine Auslieferung an die USA zu verhindern. Nach einer Zuflucht für ein überaus reizbares Genie sieht die Gegend nicht aus. In Kamata, einem Kleineleuteviertel von Tokio, brodelt asiatische Betriebsamkeit; im Neongeflacker zahlloser Läden feilschen Hausfrauen um Schnäppchen.Und bis vor kurzem bewegte sich durch das Gedränge ein hoch gewachsener Ausländer, den in Japan kaum jemand kennt: Bobby Fischer, der Ex-Schachweltmeister. In einer Seitengasse, im Apartment eines tristen Wohnblocks, residiert der japanische Schachverband. Mit landesweit 600 Mitgliedern führt er das Dasein einer Sekte. Doch gerade hier hat der Schachmythos Fischer seine glühendste Anhängerschaft. Und auf hochherzige Hilfe ist Bobby Fischer dieser Tage dringend angewiesen. Seit dem 13. Juli sitzt der 61-Jährige in japanischer Abschiebehaft. Weil er 1992 zu einem Match gegen den Russen und früheren Weltmeister Boris Spasski in Jugoslawien antrat und damit gegen US-Sanktionen verstieß, drohen Fischer im Falle seiner Auslieferung an die USA bis zu zehn Jahre Gefängnis und eine hohe Geldstrafe. Staunend verfolgen nun Schachfreunde in aller Welt den dramatischen Abstieg eines Idols, dessen schrille Biografie schon früher Stoff für Bücher, einen Film und gar ein Musical lieferte. 1972 schrieb der damals 29-Jährige in Reykjavík Geschichte, als er den großen Boris Spasski spektakulär besiegte und damit als erster US-Bürger einem Sowjetrussen den Weltmeistertitel abrang. Wochenlang fesselte Großmeister Fischer das Interesse der Weltpresse, die das Turnier im Kalten Krieg zum ideologischen Schaukampf zwischen den beiden Supermächten hochschraubte. Dazu lieferte der exzentrische Fischer den Reportern täglich frisches Material: Schon die Eröffnungszeremonie des Turniers fand ohne den Amerikaner statt. Erst durch ein Telefonat von Henry Kissinger ("Hier spricht der schlechteste Spieler der Welt, der den besten Spieler der Welt anruft") und durch Intervention des britischen Millionärs James Slater (der das Turniergeld erhöhte) ließ sich der Star überreden, nach Island zu reisen. Doch auch dann zermürbte Fischer seinen Gegner sowie die isländischen Gastgeber mit immer neuen Beschwerden. Mal schien ihm das Licht zu grell, mal filmten die Kameras zu lästig, mal rückten ihm die Zuschauer zu nahe. Kein Wunder, dass der sowjetische Geheimdienst KGB darin einen kapitalistischen Nervenkrieg gegen Spasski witterte. In Moskau ließ der KGB Getränke auf chemische Beimischungen analysieren und den Stuhl Fischers gar mit Röntgenstrahlen durchleuchten. Dabei hätte sich der Wirbel wohl eher mit der komplizierten Persönlichkeit des Herausforderers erklären lassen. Schon seine ärmliche Kindheit im New Yorker Stadtteil Brooklyn war von Schach geprägt. Mit 6 schenkte ihm seine ältere Schwester Joan das Brettspiel, mit 14 war er US-Champion - der jüngste bis dahin. Mit 20 gehörte Bobby zu den fünf besten Spielern der Welt. Dafür scheiterte der Hochtalentierte, dem ein Intelligenzquotient von 184 attestiert wird, im täglichen Leben; mit 15 brach er die Schule ab. Aber im Spiel blieb Fischer Sieger, und möglicherweise hatte der Psychologe und frühere britische Schachchampion William Hartston Recht, als er befand: "Schach ist etwas, das Verrückte gesund erhält." Den eigenen Landsleuten jedenfalls wurde das Genie langsam unheimlich. Fischer besitze die "Aura eines Killers", schrieb die "New York Times". Er wolle Gegner beherrschen, erniedrigen und ihre Seele erobern. Nach dem Triumph von Reykjavík rieten Berater Präsident Richard Nixon ab, den unberechenbaren Champion im Weißen Haus zu empfangen. Fischer blieb in der Tat schwierig: Weil er sich weigerte, gegen den Sowjetrivalen Anatolij Karpow anzutreten, wurde ihm 1975 der Weltmeistertitel aberkannt. Der Störrische zog sich - wie vorher schon häufig - vollständig aus der Öffentlichkeit zurück. In Kalifornien schloss er sich zeitweilig einer religiösen Sekte an. Erst 1992 machte er, nun 49 Jahre alt und füllig geworden, wieder Schlagzeilen mit seinem umstrittenen - und siegreichen - Revanche-Match gegen Spasski in Jugoslawien. Nach dieser Partie, mit der Fischer aus Sicht Washingtons das geächtete Regime des Diktators Slobodan Milosevic aufwertete, konnte er nicht mehr in die USA zurückkehren. Von seiner Heimat per Haftbefehl weltweit zur Fahndung ausgeschrieben, lebte er zunächst in Ungarn und ab 2000 vor allem in Japan. Über Interviews im philippinischen Radio sowie im Internet verbreitete der Hitler-Fan antisemitische Tiraden und leugnete den Holocaust. Fischer-Kenner deuten diese Ausfälle auch als nachträglichen Aufstand gegen seine jüdische Mutter Regina, die ihn und seine Schwester allein aufgezogen hatte. Über Fischers Juden-Hetze empörte sich in den USA zwar jahrelang kaum jemand öffentlich, doch dann brachte er sich in einem weiteren Interview in besonders böse Erinnerung. Von Tokio aus pries er am 11. September 2001 im Radio den Terrorangriff auf das World Trade Center. "Das sind wundervolle Neuigkeiten", sagte Fischer, und: "Tod den USA." Zwar handelte sich Fischer mit seinen verbalen Ausfällen den Rauswurf aus dem US-Schachverband ein. Aber Washington ließ sich weiterhin Zeit, das Enfant terrible aufzuspüren; noch im November 2003 fügte ihm die US-Botschaft in Bern neue Seiten in seinen Pass. Im Juli sahen die USA offenbar die Chance, mit Hilfe ihres treuen Verbündeten Japan umso spektakulärer zuzugreifen. Bei seiner Festnahme auf dem Tokioter Flughafen Narita hätten japanische Beamte dem Schachgenie Zähne ausgeschlagen und ihm Schrammen im Gesicht und am rechten Arm zugefügt, behaupten seine Anhänger. Seinen Pass hätten die Japaner einfach einem US-Konsularbeamten ausgehändigt, der ihn durchlöchert und auf diese Weise ungültig gemacht habe. In Ushiku, dem Internierungszentrum der japanischen Einwanderungsbehörde nördlich von Tokio, harrt der Großmeister jetzt mit Illegalen aus China und Südostasien seines Schicksals. Flucht wäre sinnlos - in der öden Umgebung gibt es nur Gemüsefelder und eine gigantische Buddhastatue, angeblich die höchste der Welt. Doch Fischers Bewacher gehen kein Risiko ein. Jeden Morgen karren sie Bündel von Schlagstöcken und blauen Kampfhelmen in die Haftanstalt. Mit dem Aufgebot an staatlicher Gewalt zeigt Japan tiefe Hilflosigkeit, wie es mit dem widerborstigen Superhirn umgehen soll. Ähnliches gilt für die Weltmacht USA, der schon Fischers Familiengeschichte Stoff für Verschwörungstheorien lieferte. So wurde Bobbys 1997 verstorbene Mutter Regina vom FBI jahrelang als vermeintliche Sowjetagentin beschattet. Regina war polnisch-jüdischer Herkunft; 1933 zog sie mit dem deutschen Physiker, Kommunisten und mutmaßlichen Spion Gerhardt Fischer von Berlin nach Moskau, wo sie heirateten. Später trennten sie sich, und Regina ging 1939 in die USA. Zwar gehörte sie dort linken Organisationen an, aber auch in einer 900-seitigen Akte lieferte das FBI keine Beweise für den Spionageverdacht, wie ein britisches Autorenteam herausfand. Bobby litt unter seiner ehrgeizigen Mutter. Das verzweifelte Talent rächte sich, indem es seinerseits Regina mit Jähzorn terrorisierte - wie auch seine späteren Freundinnen. Bobby könne plötzlich aufbrausen und dann wieder "sanft und liebevoll" sein, erzählt etwa Miyoko Watai. Die 59-Jährige ist Präsidentin des japanischen Schachverbands und seit vergangenem Montag auch Bobbys Braut. Das Paar beantragte in Tokio die Heirat - angeblich lebt es seit 2000 in Japan zusammen. Ob Watai Fischers Deportation durch eine Ehe abwenden kann, ist ungewiss. Ohne Zweifel aber besitzt das Schachidol in der Japanerin seine ergebenste Verehrerin. Aus der Abschiebehaft dirigiert er sie per Telefon. "Das war er", sagt sie und zeigt nach einem Anruf ehrfurchtsvoll auf ihr Handy. Ein Jahr nach Reykjavík, 1973, spielte die damals 28-jährige Watai erstmals gegen Fischer. Ihre Niederlage gegen den Weltmeister feiert sie wie eine Erleuchtung. Der Schach-Guru veränderte ihr Leben, fortan glaubte Watai an seine übernatürliche Spieltechnik und später an die von ihm entwickelte, neuartige Schachuhr - ein "Traum von Uhr" (Watai). Gemeinsam mit der japanischen Firma Seiko wollten sie den Zeitmesser auf den Markt bringen. Nur: Nach all dem Wirbel um Bobby ist Seiko die Sache plötzlich sehr unangenehm. Mit Fischer, darauf legt eine Firmensprecherin in Tokio jetzt großen Wert, habe man direkt nie zu tun gehabt, nur mit Japans Schachverband. Auch sonst ziehen viele Japaner derzeit ihren "Nabel ein", klagt Watai. In Tokio will niemand die einstige Besatzungsmacht USA erzürnen. Nur ein abgewählter Abgeordneter, Ex-Vizeaußenminister Ichiji Ishii, macht sich für den Inhaftierten stark. Fieberhaft mobilisieren Freundin Miyoko und die Hand voll Getreue ausländische Hilfe. Täglich ersinnen sie neue taktische Züge, um den Schachgroßmeister vor dem ihm drohenden Matt zu bewahren. Erst beantragte Fischer Asyl in Japan, dann die Anerkennung als Flüchtling beim Uno-Flüchtlingskommissar, dann sagte er sich von seiner US-Staatsbürgerschaft los. Über die deutsche Botschaft in Tokio beantragte er außerdem die deutsche Staatsbürgerschaft. Denn Bobbys Vater Gerhardt war angeblich zur Zeit der Geburt des Sohnes Deutscher - später lebte er als Don Gerardo Fischer Liebscher in Chile, wo er Lampen verkaufte und, wie seine Ex-Frau zuvor, das Interesse der US-Geheimdienste auf sich zog. Vor elf Jahren starb er in Berlin. Allerdings spricht einiges dafür, dass ein in die USA emigrierter Wissenschaftler ungarischer Herkunft namens Paul Felix Nemenyi Fischers leiblicher Vater war. Für den fanatischen Antisemiten eine ganz spezielle Ironie: Nemenyi war, wie Bobbys Mutter, jüdisch. Doch ist das überdrehte Schachwunder mit seinen weltpolitischen Hasstiraden überhaupt ernst zu nehmen? Am ehesten dürfte Ex-Rivale Spasski das Phänomen Bobby Fischer erkannt haben - als eine menschliche Tragödie: "Ich will Bobby Fischer nicht verteidigen oder ihn rechtfertigen", schrieb Spasski, der mit seiner Frau in Paris lebt, nach Tokio. Aber er bitte um Gnade für seinen Gegner von einst. Der sei ein ehrlicher und gutherziger Mann - allerdings überhaupt nicht umgänglich. WIELAND WAGNER