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Info-Mail Schach Nr. 369


    Hallo Schachfreunde,

neben den Ergebnissen aus Wernigerode könnt Ihr heute am Ende dieser Mail
einen Vorbericht zur WM lesen, die am 25. September in der Schweiz beginnt.
Was das nun genau für eine WM ist, dürft Ihr mich nicht fragen. Es ist
jedenfalls nicht die FIDE-WM, aber immerhin spielen mit Vladimir Kramnik und
Peter Leko zwei der derzeit stärksten Schachspieler gegeneinander. Im Schach
sind eben mittlerweile auch Verhältnisse eingekehrt, wie bei einer anderen
Sportart, bei der es normalerweise nicht so sanft zugeht. Wir werden über
den Verlauf des Matchs berichten, aber nicht jedes "Salonremis" sofort
melden. Sollte allerdings auch mal eine Gewinnpartie vorkommen, so werden
wir uns natürlich melden.

Viele Grüße aus Augsburg
Euer Toni

           Deutsche Meisterschaft im Blindenschach der Senioren 2004

                                 in Wernigerode
                           20.09.2004 bis 24.09.2004
                                 Rundenturnier

  Turnierleiter: Manfred Müller, Senftenberg

Ergebnisse der Runde 3
Sand,Werner..... - Pelz,Brigitte... 1,0:0,0
Gaußmann,Manfred - Kübel,Hannelore. 0,5:0,5
Müller,Manfred.. - Jenkner,Hans.... 1,0:0,0

Zwischenstand nach 3 Runden
  1. Müller,Manfred..  3,0   2,50
  2. Kübel,Hannelore.  2,5   1,75
  3. Gaußmann,Manfred  1,5   2,25
  4. Jenkner,Hans....  1,0   1,00
  5. Sand,Werner.....  1,0   0,00
  6. Pelz,Brigitte...  0,0   0,00

Lebemann gegen Asket
(von Andreas Bucher in FACTS ONLINE)

Erstmals seit vier Jahren wird wieder ein Schach-Weltmeisterkampf
ausgetragen - im Tessin. Beide Spieler sind Grossmeister, doch sie könnten
nicht unterschiedlicher sein.
Seit 1886 duellieren sich die besten Schachspieler um den Titel des
Weltmeisters - länger als in jeder anderen Sportart. Die Ahnengalerie der
Champions kann als Richtschnur durch die Geschichte des Spiels betrachtet
werden. Und sie erzählt vor allem eines: Jeder Weltmeister hat seinen
Vorgänger in einem fairen Zweikampf besiegt. Niemand trug Versehrungen
davon. Es gab nur zwei Ausnahmen: Alexander Aljechin wurde 1946 tot am
Schachbrett aufgefunden und nahm den Titel mit ins Grab. Bobby Fischer
verliess den Spieltisch nach seinem Titelgewinn 1972 als psychisches Wrack
und verabschiedete sich vom professionellen Schach.
Nachdem in letzter Zeit vor allem die Duelle Mensch gegen Maschine für
Schlagzeilen sorgten, findet heuer erstmals nach fast vier Jahren Pause
wieder ein richtiger Titanenkampf statt: Vom 25. September bis zum 18.
Oktober werden der derzeitige Weltmeister Wladimir Kramnik (Russland) und
sein Herausforderer Peter Leko (Ungarn) im Centro Dannemann in Brissago um
die Schachkrone spielen.
Beide Gegner bereiten sich intensiv auf den Match vor. ½Ich fühle mich ganz
gut. Mein Schach ist in den letzten Monaten wieder stärker geworden», sagt
Wladimir Kramnik. ½Ich befinde mich in der letzten Phase der Vorbereitung.
Kurz vor Matchbeginn werde ich hoffentlich noch etwas fitter sein.» Kramniks
tägliches Programm besteht zurzeit aus dem Studium frisch veröffentlichter
Partien, die er nach Neuerungen absucht, aus der Analyse von Stellungen und
Partien des kommenden Gegners, aus mentalen Übungen und Fitnesstraining.
Unter den Spitzenspielern hat der 29-Jährige den Ruf eines Lebemanns, der
wenig am Brett arbeitet. Bis Mitte der Neunzigerjahre ass er reichlich
Fastfood, trank den einen oder andern Wodka und rauchte viel: Seine
Nikotinsucht, so wird spekuliert, hatte ihn vor zehn Jahren den Sieg in
einem WM-Qualifikationsmatch gekostet. Die Partien wurden im obersten Stock
des Trump Tower in New York ausgetragen. Im ganzen Gebäude galt ein strenges
Rauchverbot. Für jede Zigarette musste Kramnik den Wolkenkratzer verlassen.
Er geriet in Zeitnot. Allerdings garantieren Askese und Training noch keinen
Erfolg: Der frühere Weltmeister Michail Botwinnik hielt sich an einen
rigiden Ernährungsplan und machte täglich seine Atemübungen. Aber er verlor
den Titel gegen Michael Tal, einen Raucher, Trinker und gelegentlichen
Morphinisten.
Und wie hält es Kramnik vor dem anstehenden WM-Kampf in Brissago? Er
relativiert: ½Das Klischee vom trainingsfaulen Bohemien Kramnik ist etwas
übertrieben», sagt er im Gespräch. ½In den letzten sechs Jahren habe ich
versucht, mich professionell zu verhalten. Ich bin eine ziemlich sportliche
Person, und vor einem wichtigen Match konzentriere ich mich stärker auf die
Fitness. » Er spiele gerne Tennis, auch Schwimmen gehöre dazu oder ab und zu
ein Fussballmatch - ½wenn genügend Leute da sind».
Kramnik bezeichnet Schach als eine Mischung aus Kunst und Wissenschaft. Sein
Vater ist Bildhauer, seine Mutter Musiklehrerin. Erfolgreiches Schach ist
für ihn eng mit gestalterischer Ästhetik verbunden. ½Ein Schachspiel kann
sehr kreativ sein. Wenn man sich gut fühlt, energiegeladen und
ausbalanciert, stellt sich die Kreativität automatisch ein.» Man brauche
sich dann nicht speziell darauf vorzubereiten. ½Wenn du dich aber depressiv
und müde fühlst, kannst du lange auf Geistesblitze warten.»
Mit dem Computer aufgewachsen
Während eines Turniers oder einer Trainingsphase mit Tonnen von
Schachmaterial sei für ihn Ablenkung sehr wichtig. Momentan lese er gerade
ein Buch von Milan Kundera. ½In solchen Phasen ist es von Vorteil, wenn man
sich von schwerer Kost fern hält.» Also weder Kant noch Nietzsche. Das Hirn
muss ausspannen und eine Weile lang nicht an Schach denken können. ½Mit
einem Krimi oder einem humoristischen Text gelingt mir das am besten. Meine
andere Methode ist Sport, bis ich physisch ausgepumpt bin.»
Peter Leko ist vier Jahre jünger als Kramnik. Er wuchs mit dem
Schachcomputer auf, gilt als Asket und Marathonmann unter den Grossmeistern.
Kramnik schätzt ihn als sehr schweren Gegner ein. ½Er ist ein exzellenter
Verteidiger. In kritischen Situationen zieht er alle Register und kämpft
fantastisch, bis zur letzten Gewehrkugel sozusagen.»
Schachspieler sind empfindliche Genies, besonders wenn es um viel Geld oder
Prestige geht. Im WM-Klassiker von 1972 gegen Boris Spassky hatte Bobby
Fischer einen Nervenkrieg angezettelt: um den Abbau der TV-Kameras, die
Beleuchtung und ein Verkaufsverbot von Bonbons wegen des knisternden
Zellophanpapiers. Die Stimmung grenzte an Hysterie, auch die Sowjets drehten
fast durch: Hatten die Amerikaner den Fruchtsaft des Gegners mit Drogen
versetzt? Warum musste Fischer einen Ledersessel aus New York einfliegen
lassen? Hatte er einen Geheimsender in die Armlehne einbauen lassen?
Bizarr waren auch die Geplänkel zwischen Anatoli Karpow und Viktor
Kortschnoi 1978: Kortschnoi trug eine verspiegelte Sonnenbrille, während
Karpow den Gegner mit Schaukelbewegungen auf dem Drehstuhl nervte.
Kortschnoi protestierte beim Schiedsrichter, doch Karpow erklärte: ½Ich höre
zu schaukeln auf, wenn er seine Brille abnimmt!» Später liess sich Karpow
ein lila gefärbtes Jogurt an den Spieltisch bringen. Das interpretierte
Kortschnoi als Signal der Sekundanten und legte Protest ein. Die Jury sass
zusammen und entschied, dass Karpow nur zu einem bestimmten Zeitpunkt
versorgt und der Schiedsrichter vorher informiert wird, falls es sich nicht
um ein lila Jogurt handeln sollte.
Zwischen Kramnik und Leko herrscht zurzeit noch eine Atmosphäre
gegenseitigen Vertrauens, obwohl sie so kurz vor dem Match nicht mehr
miteinander kommunizieren. Nach Lekos Qualifikation zum Herausforderer seien
sie zusammengesessen und hätten die wichtigen Details des Turnierablaufs
besprochen, sagt Kramnik. ½Es gab keine grossen Differenzen. Wir wollen uns
beide am Brett durchsetzen.» Doch das ist gar nicht so einfach. Dank der
Vorbereitung mit Computern wird es immer schwieriger, den Gegner mit
Neuerungen zu überraschen. Zahlreiche für den Amateur unattraktive
Remispartien sind die Folge. Schach sei eben auch ein kompliziertes
mathematisches Spiel, sagt Kramnik. Mit korrekten Zügen auf beiden Seiten
tendiere es zum Unentschieden. ½Je höher das Niveau, desto grösser ist der
Anteil der Remispartien. Das ist nur logisch.» Er könne versichern, dass ein
Schachprofi niemals eine Partie von vornherein auf Unentschieden anlege.
Hoffen auf spektakuläre Züge
In Schachzirkeln wird debattiert, wie man die Partien der Spitzenspieler für
das Publikum attraktiver gestalten könnte. Ein Vorschlag ist, wie im
Fussball für einen Sieg drei Punkte zu vergeben. Doch Kramnik winkt ab: ½Ein
Remis ist doch kein Desaster. Im Schach kann es nicht nur um das Resultat
gehen, genau wie im Fussball: Ich schaue mir lieber ein Spiel zwischen
Frankreich und Italien an, auch wenn es 0:0 ausgeht, als ein Zweitligaspiel,
das 5:4 endet.» Kramnik fordert die Schachliebhaber auf, dem Spiel selber
etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken. ½Wenn es interessante Spiele sind,
mit vielen Ideen und reichlich Material zum Analysieren, sollte das
Endresultat keine grosse Rolle spielen.» Im WM-Kampf Kramnik gegen Kasparow
aus dem Jahr 2000 endeten 13 von 15 Partien remis. Aber die Spiele verliefen
laut Kramnik spektakulär und kampfreich. ½Es gab neue Ideen und Spannung.
Die Zuschauer waren zufrieden.»
Kramnik wird als Weltmeister anerkannt - auch von seinem Vorgänger Kasparow.
Trotzdem geht es im Schachsport derzeit so unübersichtlich zu und her wie im
Boxen mit all seinen Verbänden und Weltmeistern. Kramnik verspricht, sich um
diese Verwirrung zu kümmern, sollte er seinen Titel verteidigen. ½Nach dem
Match werde ich die Situation analysieren und die nötigen Schritte
einleiten.»

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