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Info-Mail Schach Nr. 399


Hallo Schachfreunde,

heute möchte ich Euch einen interessanten Zeitungsartikel nicht
vorenthalten, den ich im Internet gefunden habe.

Viel Spaß beim Lesen wünscht
Toni aus Augsburg

Frankenpost Online vom 24.01.2005

Wenn sich Schach nur im Kopf abspielt

VON JAN FISCHER

An der Fachhochschule Hof gibt es eine große Auswahl an "allgemeinen
Wahlpflichtfächern": Von Amateurfunktechnik bis zu "Do it herself" - einem
Autokurs
für Frauen - reicht die Bandbreite. Im Wintersemester stand erstmals Schach
auf dem Stundenplan. Zum Abschluss erfuhren die Studierenden von einem
Meister
des königlichen Spiels allerlei Wissenswertes und Verblüffendes rund ums
Schach.

HOF - Ludwig Zier ist blind - und trotzdem ein herausragender Schachspieler.
Der Wunsiedler hat den Titel des Internationalen Fernschachmeisters
errungen,
war vier Mal deutscher Meister im Blindenschach. "Ich spiele die Partien im
Kopf", verrät er den staunenden jungen Leuten im FH-Lehrsaal "B 007".

Wie es funktioniert, wenn er Schach im Kopf spielt, demonstriert er aufs
Eindrucksvollste. Drei Bretter werden aufgebaut, Zier hat keine Hilfsmittel.
Die
Studierenden sagen ihren Zug an, Zier nennt nach kurzem Überlegen seinen
Antwortzug. So geht es von Brett zu Brett, wie die Figuren stehen, hat
Ludwig
Zier stets vor seinem geistigen Auge. Drei Partien gleichzeitig - das macht
ihm keine Mühe. "Mein Rekord ist es, an zehn Brettern zur gleichen Zeit zu
spielen."

Die Gegner diskutieren, gestikulieren und beraten sich. Doch schon bald geht
am ersten Brett eine Figur verloren. Der Blindenspieler sitzt ruhig und
entspannt
da, nimmt hin und wieder die Hand ans Kinn, scherzt sogar noch: "Wenn's
Ihnen zu schnell geht, können wir gern eine kurze Pause einlegen." 15, 20
Minuten
geht das so. Dann hat Zier ordentliche Positionen erreicht und beendet die
Demonstration auf charmante Art: "Ich biete an allen drei Brettern Remis."
Die
Kontrahenten nehmen das Angebot dankend an.

Joachim Süß aus Lauf ist einer von einem guten Dutzend Studierenden, die
sich fürs Wahlpflichtfach Schach entschieden haben. In dem Denksport sehe er
"die
Herausforderung, sich ohne Körpereinsatz mit jemandem messen zu können",
sagt er. Seit Oktober habe er, der angehende Medieninformatiker, viel über
Schach
erfahren. Insgeheim habe er gehofft, mit diesem Fach sei weniger Mühe
verbunden als mit anderen - aber dem sei nicht so gewesen. In den zwölf
Seiten, die
er zum Abschluss schreiben musste, stecken mehrere Stunden Arbeit.

Bei allem Spaß am Spiel war nämlich auch eine "Prüfungsleistung" zu
erbringen, erklärt Professor Dr. Jörg Scheidt, der zusammen mit Professor
Dr. Michael
Seidel das Schachangebot ins Leben gerufen hat. "Die Studierenden mussten
eine selbst gespielte Partie analysieren." Analyse - das bedeutet, jeder
einzelne
Zug einer Partie wird genauestens untersucht, ob er gut oder schlecht ist.

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Blinde Spieler
brauchen enorme
Konzentration

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Logisches Denken sei beim Schach gefragt, betont Scheidt. Aber auch
Verbindungen zur Mathematik und zur Informatik seien in den vergangenen
Monaten entdeckt
worden. Bis hin zur Frage: "Wie denkt ein Mensch im Unterschied zu einem
Schachprogramm?"

Über den Einfluss von Computern spricht auch Ludwig Zier. Bei Fernschach-
und E-Mail-Turnieren kämen immer mehr und immer stärkere Rechner zum
Einsatz.
Deshalb habe er sich aus dem Schach per Post mittlerweile zurückgezogen,
obwohl er zuletzt im Halbfinale der E-Mail-Weltmeisterschaft stand.

Was die Studierenden besonders interessiert: Wie kann ein blinder Mensch so
gut Schach spielen? Dazu sei enorme Konzentration erforderlich, sagt Ludwig
Zier. Auf einem eigenen kleinen Brett "ertastet" er sich die jeweilige
Position. Nach mehr als vier Stunden Spielzeit sei mehr geistige Anstrengung
nötig
als bei Sehenden. Zier berichtet von Großmeistern, die auch eine große Zahl
von Partien im Kopf speichern können. "Die spielen in einem Simultanturnier
30 Partien gleichzeitig - und später können sie einzelne Partien noch
komplett wiedergeben."

Dass Schach harte Kopf-Arbeit sein kann, haben die Studierenden schon im
Laufe des Semesters erfahren. Am wichtigsten sei regelmäßiges, gezieltes
Training,
sagt Zier, der in Wunsiedel eine Schachabteilung gegründet hat,
Schulschachmannschaften leitet und dessen Sohn Oliver erst vor kurzem bei
der Jugend-WM
auf Kreta mitspielte. "Wenn ich im Schach weiterkommen will, muss ich mich
täglich mit Schachtaktik beschäftigen." Schachtaktik, das seien die
Situationen,
"wenn die Stellung aus dem Gleichgewicht gerät". In diesem Moment könne ein
Spieler einer Partie noch eine unerwartete Wendung geben, seinen Gegenüber
durch eine Finte reinlegen. Wie das geht, steht in 800 Büchern und
zahlreichen Lern-CDs, die Ludwig Zier zu Hause hat.

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Ab Oktober gibt's
eine Neuauflage

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Dann geht's an den praktischen Teil. Jetzt dürfen die Kursteilnehmer
bewiesen, was sie gelernt haben. An einzelnen Beispielen vermittelt Zier ein
bisschen
Schach-Philosophie: "Man muss bis zuletzt konzentriert spielen." Und:
"Schach ist oft eine gerechte Sache; es gewinnt nicht immer der, der mehr
Figuren
hat." Von Opposition, Bauern-Quadrat, Grundlinien-Schwächen, Mattmotiven und
Verstellungen handeln die Beispiele.

Die Studierenden kommen ins Grübeln, finden aber meist die besten Züge. "Das
ist bestimmt wieder so ein Opfer", meint einer. "Genau ins Schwarze
getroffen",
freut sich Zier. Manchmal kann es erfolgversprechend sein, die wertvollste
Figur, die Dame, herzugeben, um so zum Erfolg zu kommen.

Nach diesen Studien sagt auch Michael Seidel, der zusammen mit seinem
Kollegen Scheidt in der Regionalliga-Mannschaft des PTSV-SK Hof spielt: "Da
habe ich
noch was lernen können." Und weil die Schach-"Vorlesungen" für alle
Beteiligten so lehrreich waren, wird es im Wintersemester 2005/06 eine
Neuauflage geben.

Die Dozenten wissen, wie nun auch die jungen Leute, die das Wahlpflichtfach
belegt haben: Schach ist Sport. "Nur wer körperlich fit ist, hat auf höherer
Ebene eine Chance, sich durchzusetzen", sagt Ludwig Zier. Untersuchungen
hätten ergeben, dass Schachkönner ähnliche Herzfrequenzen wie Fußballer
aufwiesen.
Der Blindenspieler spricht von psychischer Erschöpfung nach längeren
Turnieren. "Es wäre vielleicht manchem zu empfehlen, dass er ein
Schachturnier spielt,
wenn er abnehmen möchte."

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