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Info-Mail Schach Nr. 481


FIDE WM 2005 in San Luis - Sonntag, 02.10. - Ruhetag.

Zwischenbilanz nach vier Runden
(Quelle:
www.chessbase.de/)

Die ersten vier Runden der Weltmeisterschaft in San Luis sind gespielt, und
bislang hält dieses Turnier, was es versprochen hat. Ja, mehr als das.
Bislang gab es wenig Remis, ganz wenig schnelle Remis, dafür aber
dramatische und kampfbetonte Partien. Im Vorfeld wurde die Weltmeisterschaft
in San Luis oft mit dem AVRO-Turnier 1938 oder dem Weltmeisterschaftsturnier
Moskau - Den Haag 1948 verglichen. Aber während damals Schachzeitungen die
Partien und Ergebnisse erst Wochen nach dem Turnier veröffentlichen konnten,
kann der Schachfan von heute die Partien live am Computer verfolgen. Da
heute, Sonntag, jedoch Ruhetag ist, bietet sich eine gute Gelegenheit für
eine Zwischenbilanz der ersten vier Runden. Natürlich ist noch alles offen,
aber eines lässt sich jetzt schon sagen: Wer die WM in San Luis nicht
verfolgt, verpasst ein spannendes Turnier und eine großartige Schachshow.

Vor dem Turnier waren sich die Experten einig: Anand, Topalov oder Leko -
einer dieser drei wird der neue Weltmeister. Eine in der aktuellen Ausgabe
der Zeitschrift Schach veröffentlichte Umfrage sah dabei Anand als
deutlichen Favoriten. Schaut man sich die Tabelle nach der vierten Runde an,
so kann man sagen, dass von diesen drei nur Topalov mit seinem Spiel und
seinem Ergebnis zufrieden sein kann. Nach einem glücklichen Sieg in der 1.
Runde gegen Leko verpasste er gegen Anand in der 2. Runde zwar mehrfach den
Sieg, aber das brachte ihn nicht aus dem Rhythmus - im Gegenteil: Mit klaren
Siegen gegen Morozevich und Adams in den Runden 3 und 4 demonstrierte er
gute Form und Entschlossenheit und ist eindeutig in die Favoritenrolle
geschlüpft.

Auf Platz zwei der Tabelle steht Peter Swidler. Nach zwei ruhigen
Auftaktremisen folgte ein überraschend klarer Sieg gegen Peter Leko und ein
umkämpfter Gewinn gegen Morozevich. Eine gute Ausgangsposition, um den
anderen Favoriten ebenfalls ein Bein zu stellen. Die nächste Gelegenheit
dazu bietet sich am Montag, denn dann kommt es zur Spitzenpaarung Svidler
gegen Topalov.

Für Anand hing der Himmel nach der dritten Runde voller Geigen. Am Tag zuvor
hatte er sich gegen Topalov knapp ins Remis gerettet und dann Michael Adams
mit einer zehn Jahre alten Neuerung, die er bei der Vorbereitung auf einen
Wettkampf gegen Kamsky entdeckt hatte, vom Brett gefegt. Die bislang
vielleicht spektakulärste Partie in San Luis. Die Ernüchterung folgte am
vierten Tag. Der Außenseiter Kasimdshanov konterte Anands scharfes und
riskantes Spiel und fügte ihm eine bittere Niederlage zu. Plötzlich hat
Anand einen Punkt Rückstand auf Topalov und am Montag gegen Leko wird sich
zeigen, wie gut er die Niederlage gegen Kasimdshanov verdaut hat.

Kasimdshanov jedoch gab dieser Sieg Auftrieb. Anstatt wie von vielen
erwartet nach der Niederlage gegen Polgar in der dritten Runde ins Trudeln
zu kommen, hat er sich wieder gefangen und steht mit 2 aus 4 besser da, als
viele vorhergesagt haben.

Für Peter Leko hätte das Turnier kaum schlimmer beginnen können: Nach nicht
einmal zwanzig Zügen stand er gegen Mitfavorit Topalov in der ersten Runde
auf Gewinn, verlor dann aber doch noch. Mit Weiß. Dann folgte eine weitere
Weißpartie und eine weitere vergebene Chance gegen Morozevich. In Runde drei
schließlich eine chancenlose Niederlage gegen Svidler. Nach nur drei Runden
schienen alle WM-Träume ausgeträumt. Aber sein überzeugender Sieg gegen
Judit Polgar könnte andeuten, dass er sich wieder gefangen hat. Dann ist
trotz seines verkorksten Beginns noch alles möglich - aber viel Spielraum
hat er nicht mehr, wenn er doch noch Weltmeister werden möchte.

Um so bitterer war die Niederlage gegen Leko für Judit Polgar. Nach einer
Auftaktniederlage gegen Anand und einem mühsamen Remis gegen Adams hatte sie
mit einem spektakulären Sieg gegen Kasimdshanov wieder fünfzig Prozent
erreicht, nur um nach der Niederlage gegen Leko in die untere Tabellenhälfte
abzurutschen. Am Montag spielt sie gegen Morozevich, der zwei Partien in
Folge verloren hat und einen halben Punkt hinter ihr liegt. Beide wollen
natürlich den Negativtrend aufhalten und nicht verlieren.

Michael Adams wird froh sein, dass der Ruhetag gekommen ist. Nach der
verheerenden Niederlage gegen Adams wirkte der sonst so coole Engländer
sichtlich angeschlagen. Dann folgte eine weitere Demontage durch Topalov und
auf einmal hatte sich ein mit zwei Remispartien halbwegs vernünftiger
Turnierauftakt in ein Desaster verwandelt. Am Montag hat er gegen
Kasimdshanov die Chance, Boden gut zu machen.

Ganz und gar enttäuschend verlief das Turnier bislang für Alexander
Morozevich. Von seinen gefürchteten und bewunderten originellen Einfällen
war bislang wenig zu sehen. Gegen Kasimdshanov schlitterte er nur knapp an
einer Niederlage vorbei, gegen Leko stand er ebenfalls gefährdet, gegen
Topalov bot er nach 12. Zügen mit Weiß Remis an, um dann nach einer
schlappen Eröffnung allmählich in eine Verluststellung zu gleiten und gegen
Svidler verdarb er eine aussichtsreiche Stellung noch zum Verlust. All das
deutet auf eine gewisse Befangenheit hin. Wenn er die ablegen kann, findet
er sicher zur alten Originalität zurück und kann jedem gefährlich werden.

Eines steht jedenfalls schon fest: Die ersten vier Runden hatten es in sich
und boten kämpferisches und interessantes. Die Zuschauer können sich auf die
nächsten Runden freuen.

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