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Info-Mail Schach Nr. 509


Corus Turnier in Wijk aan Zee (13. bis 29. Januar 2006)
Rangliste nach 7 (von 13) Runden:
1. Topalov 5
2. Karjakin, Anand 4½
4. Gelfand,  Ivanchuk, Adams 4
7. van Wely, Leko 3½
9. Mamedyarov, Tiviakov, Aronian 3
12. Bacrot, Sokolov 2½
14. Kamsky 2

Nach dem Sieg von Adams gegen Topalov in der 2. Runde -
noch einige erwähnenswerte Ergebnisse:
3. Runde:
Ivanchuk - Anand 0-1
5. Runde:
Anand - Leko 1-0
6. Runde:
Kamsky - Anand 1-0 (!!)
Adams - Ivanchuk 1-0

Chess-Base - 20.01.2006  - Von Berlin nach Wijk aan Zee
Für den Schachjornalisten Dagobert Kohlmeyer war die Fahrt von Berlin nach
Wijk auch mit einem riesigen Temparaturanstieg verbunden. Während man in der
Hauptstadt im Osten Deutschlands den Winter und die Ausläufer der klirrenden
aus Russland kommenden Kälte spürte, lag die Temperatur in Wijk sogar bei 8
Grad plus und der vom Meer kommende Wind brachte Regen. Von Schnee keine
Spur.

Berlin – Wijk aan Zee: Mit jedem Kilometer wird es wärmer -
Impressionen von Dagobert Kohlmeyer
Seit dem vergangenen Wochenende vereint Wijk aan Zee wieder die besten
Schachspieler der Welt zum traditionellen Jahresauftakt. Bis auf Wladimir
Kramnik, der wegen Krankheit fehlt, erfreuen sich Organisatoren und
Schachfans an den illustren Teilnehmerfeldern. Das  Corus-A-Turnier 2006
weist mit einem ELO-Schnitt von 2716 die Kategorie 19 auf und wird nach fünf
Runden von Vishy Anand angeführt. Fährt der Inder seinen fünften
Gesamterfolg ein, dann würde er Rekordhalter bei diesem Schachfestival.
Vor dem Turnier war man gespannt, wie sich der neue FIDE-Weltmeister Weselin
Topalow der Konkurrenz beim ersten Kräftemessen nach seinem Titelgewinn
präsentieren würde. Klar ist: Der Bulgare, der nach Kasparow und Kramnik als
dritter Schachspieler die magische Zahl von 2800 durchbrochen hat, will es
seinen Anhängern sowie eventuellen Skeptikern zeigen, dass sein fulminanter
Auftritt in San Luis und die anderen großartigen Turnierergebnisse des
Vorjahres keine zufälligen Resultate waren.
Neben den beiden Topfavoriten wurde auch Peter Leko vorher für einen
vorderen Rang gehandelt. Der Ungar hat im Vorjahr hier an der Nordseeküste
gewonnen, ist also Titelverteidiger. Durch seine gestrige Niederlage gegen
Anand ist Peter aber erst einmal zurückgefallen.
Nach langer Pause von fast zehn Jahren kehrte Gata Kamsky ins Weltschach
zurück. Der Wahlamerikaner meldete sich schon beim Weltcup in Sibirien
eindrucksvoll zurück, wo er auf Anhieb wieder die Qualifikation als
WM-Kandidat für den laufenden Zyklus schaffte. Hier in Wijk läuft es nicht
so glatt. Man merkt, dass Gata die Spielpraxis fehlt.
Auch das B-Turnier weist mit Arkadij Naiditsch aus Dortmund, Magnus Carlsen
aus Norwegen, Koneru Humpy aus Indien, Katarina Lahno aus der Ukraine und
anderen eine interessante Besetzung auf.
Der Schachreporter startete am ersten Ruhetag im kalten verschneiten Berlin.
Ab Hannover hört die Schneedecke auf, mit jedem Kilometer wird es wärmer.
Der Intercity nach Amsterdam sowie Anschlusszug und Bus für die letzten
Kilometer sind auf die Minute pünktlich. Mit der Wärme steigt auch die
Spannung, wie es beim Festival in der legendären De Moriaan Hale weitergeht.
In Wijk aan Zee ist zur Überraschung mal schönes Wetter. Sonnenschein und
plus 8 Grad, wer hätte das gedacht. Ab Donnerstagmorgen aber regnet es schon
wieder - das für Januar gewohnte Bild an der Nordsee. Diese Umstände können
die Top-Spieler, Openteilnehmer, Zuschauer und Journalisten aber nicht
stören. Schach findet glücklicherweise im Saale statt.
Beim Eintritt in die Halle wird man als langjähriger Beobachter von der
neuen,  ungewöhnlichen Ausstattung überrascht. Astronauten schweben an der
Wand, man fühlt sich buchstäblich wie im Kosmos. Wenn das die Spieler bei
ihren Gedankengängen nicht beflügelt!
Das Pressezentrum ist am Ruhetag nur wenig besucht. Ich treffe den alten
Kämpfer Alexander Beljawski, der sich dieses Jahr in Gruppe B des vehementen
Ansturms der Jugend erwehren muss (siehe seine Verlustpartie in Runde 5
gegen Carlsen) und Arkadij Naiditsch. Der Dortmunder hat einen glänzenden
Start hingelegt, der zu weiteren Hoffnungen berechtigt. Gewinnt Arkadij,
kann er nächstes Jahr im A-Turnier spielen. Dazu muss er jedoch am Freitag
erst einmal die Hürde Magnus Carlsen nehmen.
Etwas später schauen Boris Gelfand und Alexander Huzman herein - zwei
Unzertrennliche. Die beiden Großmeister aus der früheren Sowjetunion leben
schon viele Jahre in Israel und arbeiten bereits seit 1990 zusammen. Huzman
begleitet Gelfand zu fast allen Turnieren als Sekundant.
Der 37-jährige Boris Gelfand stammt aus Minsk und hat schon für drei
Nationalteams gespielt. Ende der 80er Jahre als ganz junger Bursche noch für
die Sowjetunion, mit der er bei der Mannschafts-EM 1989 und bei der
Olympiade 1990 in Novi Sad Gold holte. Im Jahre 1994 und 1996 spielte er für
Weißrussland bei der Schacholympiade. Seit 2000 sitzt Boris für Israel am
Spitzenbrett. Turin wird Gelfands vierte Olympiade für das Team seiner
Wahlheimat.
Boris liest E-Mails und schaut sich Kommentare an, die im Web über Wijk aan
Zee zu lesen sind, vor allem auf den russischen Internetseiten äChessProô
und äe3e5ô. Dann geht er wieder ins Spielerhotel. Am Donnerstag steht seine
Weißpartie gegen Lokalmatador Loek van Wely an. Sie geht remis aus. Gelfand
liegt hinter Anand, Topalow und Iwantschuk auf dem 4. Rang. Er möchte gern
den Anschluss halten oder die da vorn sogar einholen. Es ist Boris´ sechster
Start in Wijk aan Zee. äIch habe gute Erinnerungen an 1994, als ich hier
mein WM-Kandidatenmatch gegen Michael Adams gewann. Danach kam ich bis ins
Halbfinale, wo ich erst Anatoli Karpow unterlag.ô
Inzwischen ist es längst dunkel. Beim Weg zum Abendessen treffe ich Vishy
Anand, der guter Dinge ist und in diesem Jahr mit Topalow und Iwantschuk um
den Turniersieg streitet. Im Gewinnfalle wäre es der fünfte Triumph des
Inders, das hat bei diesem Turnier noch keiner geschafft. Anand und
Kortschnoi verbuchten beim traditionellen Schachfestival an der Nordsee
bisher je vier Siege.
Wijk aan Zee ist ein kleiner, überschaubarer Badeort. Auf Schritt und Tritt
begegnen einem bekannte Gesichter. In einem türkischen Restaurant unweit der
De Moriaan Halle sitzt Familie Mamedjarow aus Aserbaidschan. Der 20jährige
Schakrijar Mamedjarow ist zweifacher Juniorenweltmeister und hat die
Schallmauer von 2700 schon durchbrochen. Er kam als Vorjahreszweiter der
B-Gruppe für den erkrankten Wladimir Kramnik ins Turnier. Schakrijar  wird
von Vater Gamid (51) und Schwester Turkan begleitet, die auch Schach spielt.
Der Vater war früher Gewichtheber. Nicht ohne Stolz sagt er: äDas Beste, was
ich im Leben geleistet habe, sind meine Schach spielenden Kinderô.
Schakrijar hat seine bisherigen Partien alle mit Remis beendet. Wir sind
gespannt, wann er den ersten Punkt holt. Unterstützung vor Ort gibt ihm
Großmeister Rasul Ibrahimow. Der 25jährige steht Mamedjarow in Wijk aan Zee
als Sekundant zur Seite und fiebert mit ihm. So wie am Donnerstag, als
Mamedjarow seine schwierige Partie mit Schwarz gegen Topalow remis hält.

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