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Info-Mail Schach Nr. 737


Catenaccio am Brett
(von Martin Bräutigam im "Tagesspiegel" vom 22.09.2007)

Boris Gelfand überrascht bei der Schach-WM

Zur Halbzeit der Schach-WM in Mexiko liegen die beiden ältesten Teilnehmer
vorn. Nach sieben Runden führt der Inder Viswanathan Anand (5 Punkte)
vor Boris Gelfand (4,5). Von Anand, 37, hatten es viele erwartet, von
Gelfand, 39, kaum einer. "Ich denke hier nur von Partie zu Partie", sagt
Gelfand
gelassen. Doch wie anstrengend Schach sein kann, sieht man ihm an, wenn er,
die Hose wie immer auf Bauchnabelhöhe gezogen, seine im Haar vergrabenen
Finger
das von stundenlanger Kopfarbeit gerötete Haupt stützen. Der beliebte
Grübler hat sein tiefgründiges Spielverständnis einst in der sowjetischen
Schachschule
erworben; Gelfand wuchs in Minsk auf, mittlerweile ist er israelischer
Staatsbürger und lebt in Rishon le Zion.

In Mexiko startete er mit vier Remisen. Das sei auf diesem Niveau ganz
normal. "Im italienischen Fußball enden die Spiele doch auch oft 0:0 - weil
dort
die Besten spielen", sagt Gelfand. Ob Fußball oder Schach, überall gelte, je
höher das Niveau, desto höher der Widerstand. Gelfand hat die Experten
verblüfft:
Zuvor war er mit Schwarz gegen 1.e4 meistens dem scharfen Najdorf-System
treu geblieben. Übertragen in die Fußballer-Sprache heißt Najdorf-System
ungefähr:
hinten Dreierkette, vorne drei Stürmer. Doch diesmal betonierte Gelfand
seine Defensive nach Catenaccio-Art, wählte schon dreimal die russische
Verteidigung.

Beflügelt von diesen schwarzen Teilerfolgen überspielte er als Weißer in den
folgenden Partien Levon Aronjan und Alexander Morosewitsch, die ursprünglich
höher eingeschätzt wurden. Gelfand scheint fest entschlossen, um seine wohl
letzte Titelchance zu kämpfen. Zu Beginn der Rückrunde eröffnete er gestern
gegen Viswanathan Anand wieder mit Weiß - die Partie lief bei
Redaktionsschluss noch.

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