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Info-Mail Schach Nr. 856


Schach-WM in Bonn (14.10.- 02.11.2008)
Internet:
www.uep-worldchess.com
Videotext: ARD ab Tafel 810 mit Partienotation
14.10.2008: Zwischenstand: Anand-Kramnik 0,5-0,5

Vorsichtiger WM-Auftakt (
www.chessbase.de)

Sicherheit - Keine Experimente! Das war der Slogan, mit dem Konrad Adenauer,
der ja Bonn durchaus verbunden war, 1957 die Bundestagswahl gewann. Nach
diesem Motto startete auch Vladimir Kramnik in den Weltmeisterschaftskampf
in der Bonner Bundeskunsthalle. Kramnik beantwortete Anands Wahl der
Slawischen Verteidigung mit der Abtauschvariante, die als remisträchtig
gilt, in der Weiß jedoch oft gefahrlos auf Gewinn spielen kann - und die
Kramniks pragmatischer Spielweise entgegenkommt. Anand opferte in der
Eröffnung einen Bauern, aber die ungleichfarbigen Läufer und die aktive
Stellung seiner Figuren machten diesen materiellen Verlust wett. Zwar sah es
eine Zeit so aus, als könnte Kramnik seinen Mehrbauern nutzen, aber nach 32
Zügen war die Stellung endgültig verflacht und man einigte sich auf Remis.

Vor dem Wettkampf war ebenfalls bei
www.chessbase.de
folgendes zu lesen:

14.10.2008 - WM: Es geht los!
Heute ist es soweit: Nach langer und intensiver Vorarbeit,
nicht zuletzt auf Seiten der organisierenden UEP, werden sich Anand und
Kramnik - 100 Jahre nach dem Wettkampf zwischen Lasker und Tarrasch und über
70 Jahre nach der letzten Schachweltmeisterschaft in Deutschland - in einem
WM-Match gegenübersitzen und die erste Wettkampfpartie spielen. Kramnik hat
gestern bei der Farbauslosung Weiß gezogen und wird somit heute den ersten
Zug machen. Vor dem heutigen Tag liegen fast 150 Jahre Geschichte der
Schachweltmeisterschaften, von denen die letzten Jahre für manche in ihren
Verwicklungen kaum nachvollziehbar sind. André Schulz gibt einen Überblick.

Es kann nur Einen geben
Zum ersten Mal seit 1934 ist Deutschland wieder Schauplatz einer
Schachweltmeisterschaft. Ab Dienstag, 15 Uhr messen Weltmeister Viswanathan
Anand (Indien) und sein Herausforderer Wladimir Kramnik (Russland) in der
Bundeskunsthalle in Bonn in  ihre Fähigkeiten und ihr Geschicklichkeit im
Umgang mit den 32 Schachfiguren auf 64 Feldern.

Für die meisten ist Schach nur ein Holzbrettspiel, doch für die über den
ganzen Globus verteilte Schachszene ist es intellektuell anregender Sport,
der in zahlreichen Wettkämpfen und Turnieren organisiert ist und der in der
Weltmeisterschaft - dem Wettkampf aller Wettkämpfe gipfelt.

Jeder Schachspieler, der an Vereinsmeisterschaften oder internationalen
Turnieren teilnimmt, wird vom Deutschen Schachbund oder dem internationalen
Schachverband FIDE (Fédération Internationale des Échecs) in ein
Bewertungssystem integriert und erhält eine Wertungszahl (Elozahl), die
seine Spielstärke ausdrückt. Hobbyspieler liegen bei 800 Elo, Großmeister
wird man mit mehr als 2500. Die 30 weltbesten Spieler haben mehr als 2700
Elo. Unter ihnen ist eine einzige Frau, Judith Polgar. Bester Spieler aller
Zeiten war Gari Kasparow mit 2849 Elo (Eloliste vom Juli 2000), Weltmeister
von 1985 bis 2000.

Nach Kasparows Rücktritt hat kein Spieler mehr so wie er die Szene
dominiert. Derzeit liegen sechs Spieler dicht bei dicht an der Spitze der
Weltrangliste, darunter Anand als Vierter und Kramnik als Sechster.
Wettkämpfe zur Ermittlung des weltbesten Schachspielers hat es schon vor
mehr als 200 Jahren gegeben, aber erst mit dem Wettkampf Wilhelm Steinitz
gegen Adolf Anderssen 1866 wurde der Titel "Schachweltmeister" gebräuchlich.
Seither gilt der Österreicher Steinitz als erster Weltmeister des Schachs.
Ihm folgte als einziger Deutsche in der Geschichte der
Schachweltmeisterschaften Emanuel Lasker nach. Nach dem Sieg über Steinitz
1894 in den USA hielt Lasker den Titel 27 Jahre lang - das ist Rekord -
bevor er ihn an Capablanca verlor.

Bis 1948 lag das System der Schach-Weltmeisterschaften in den Händen des
jeweiligen Titelhalters, der mehr oder minder nach Gusto einen Herausfordere
wählte. Alexander Aljechin war der letzte Weltmeister nach diesem System.
Als Aljechin 1946 starb, übernahm der schon 1926 gegründete Weltschachbund
FIDE die Organisation und ermittelte den ersten Weltmeister mangels lebenden
Titelhalters in einem Turnier. Michail Botwinnik gewann es und verlor erst
1963 endgültig den Titel an Tigran Petrosian, nachdem er sich zuvor gegen
Wassili Smyslow (1958) und Michael Tal (1961) zweimal die verlorene Krone in
Revanchekämpfen zurück erobert hatte. Auf Petrosian folgte Spassky (ab 1969)
und 1972 saß Spassky dann Robert Fischer im Aufsehen erregendsten
Schachwettkampf aller Zeiten gegenüber. Fischer gewann - und verschwand.

Auf Fischer folgte der stromlinienförmige Anatoly Karpow, der einige
Psychokriege gegen seinen mehrfachen Herausforderer Viktor Kortschnoj
bestritt, von denen die "Schlacht von Baguio" 1978 in Baguio City der
brutalste war. Der Nervenkrieg auf den Philippinnen inspirierte sogar die
Abba-Komponisten Ulvaeus und Benny Andersson zum Musical "Chess".

Im Jahr 1984 betrat Gari Kasparov mit Wucht die Szene und entriss Anatoly
Karpow im zweiten Anlauf den Weltmeistertitel. Kasparow musste in den
folgenden Jahren mehrmals gegen Karpow seinen Titel verteidigen, bis er dann
zusammen mit Nigel Short 1993 seine Zusammenarbeit mit der FIDE aufkündigte
und die WM-Krone privatisierte.

Im Jahr 1994 kam die Schachwelt in den Genuss von zwei WM-Zyklen mit
Kandidatenwettkämpfen und folgenden Wettkampf um den Titel. Kasparow
gründete mit dem Geld seines Sponsors Intel eine Konkurrenzorganisation zur
FIDE, um mit dieser die Weltmeisterschaft "professioneller" zu vermarkten.
Die FIDE gab aber nicht klein bei und zog unbeirrt ihren eigenen Zyklus
parallel durch. So gab es nun zwei Schachweltmeister.

Dieser unbefriedigende Zustand dauerte bis zum 2006. Inzwischen hatte
Wladimir Kramnik Kasparow in London im Jahr 2000 im Wettkampf besiegt. Der
Weltmeister der FIDE hieß Weselin Topalow.  Der lang ersehnte
Wiedervereinigungswettkampf wurde vereinbart und fand unter allerdings
skandalösen Nebentönen in Elista statt. Nachdem Topalow die ersten beiden
Partien verloren hatte, protestierte er gegen Kramniks Toilettenbesuche und
unterstellte seinem Gegner, dort unerlaubte Computerhilfe bekommen zu
haben - womit er einen  in Spielerkreisen hinter vorgehaltener Hand
vorgetragenen Vorwurf, der Topalow selbst seit dessen überragenden
Turniersieg beim FIDE-WM-Turnier in San Luis 2005 begleitet, gegen seinen
Gegner richtete.

Der Protest führte zum Eklat, nachdem das Appellationskomitee Kramniks
Toilette schließen ließ und dieser zur vierten Partie nicht erschien. Das
mit Topalow befreundete Appellationskomitee wurde vom FIDE-Präsidenten
Kirsan Iljumjinow abgesetzt. Mit Mühe konnte der Wettkampf zu einem halbwegs
regulären Ende geführt werden. Kramnik gewann ihn im Stichkampf.
Im folgenden Jahr führte der Weltschachbund die WM im Turniermodus durch.
Die Verträge mit Mexiko City hat die FIDE schon unterschrieben, bevor der
Wiedervereinigungswettkampf Kramnik-Topalow ins Gespräch kam. Kramnik hatte
jedoch immer schon betont, dass er nur den Wettkampf als angemessene Form
für die Weltmeisterschaft betrachtete. Er ließ sich dennoch zur Teilnahme am
WM-Turnier in Mexiko überreden, unter der Voraussetzung, dass er bei einem
Titelverlust eine Revanche gegen den Sieger erhält. Anand gewann. Diese
Revanche findet nun in Bonn statt.
"Einen Skandal wie in Elista wird es in Bonn nicht geben", betonte Kramnik
gerade erst im Interview, auch Anand hat sich in dieser Richtung geäußert.
Beide Spieler schätzen sich als faire Sportsleute und wollen den Kampf
ausschließlich auf den dafür vorgesehen 64 Feldern führen. Auch das übliche
Säbelrasseln vor dem Wettkampf ist weitgehend ausgeblieben.

Auf die Geheimniskrämerei in Bezug auf die Sekundanten wollte man indes
nicht verzichten. Kramnik hat sich wie schon vor seinem Wettkampf gegen Deep
Fritz vor zwei Jahren mit seinem Team zur Vorbereitung in ein kleines
Örtchen im Saarland zurück gezogen. In Interviews für die russischen Presse
und nun auch für die deutsche erläuterte der russische Spitzengroßmeister,
wen er als Sekundanten von Anand erwartet, nämlich den Dänen Peter-Heine
Nielsen, den bei Bonn lebendenden Usbeken Rustam Kasimdjanow und den
norwegischen "Wonderboy" Magnus Carlsen. Er selbst werde in Bonn schachlich
von  seinem Landsmann Sergei Rublewski, dem Franzosen Laurent Fressinet
und - Überraschung - vom Ungarn Peter Leko unterstützt. Da man heute aber
als Sekundant gar nicht mehr vor Ort sein muss, sondern auch gut über das
Internet kommunizieren kann, könnten Großmeister wie Evgeny Bareev, Miguel
Illescas oder Loek van Wely, mit denen Kramnik auch früher schon zusammen
gearbeitet hat, auch problemlos von außerhalb helfen.

Anand hat die Zusammenarbeit mit Carlsen weder geleugnet noch bestätigt. In
der Gerüchteküche wurden indischen Großmeister wie Ganguly und Kunte als
Sekundanten genannt. Das Interesse an den Sekundanten des Wettkampfgegners
begründet sich darin, dass jeder Spieler auch Spezialist bestimmter
Eröffnung ist. Wer also beispielsweise Van Wely im Team hat, interessiert
sich möglicherweise für die Botvinnikvariante, die Anti-Moskauer Variante
oder die Sweshnikov-Verteidigung im Sizilianer. Leko ist u.a. ein großer
Kenner des Marshall-Angriffs.

Von den Experten werden Kramnik Vorteile im Wettkampf eingeräumt, während
Anand im Turnier seine Stärken hat. Vor seinem Sieg über Kasparov galt
Kramnik aber eher als Wettkampfschwächling, nachdem er z.B. überraschend das
Ausscheidungsmatch gegen Alexei Shiorv verloren hatte. Inzwischen hat
Kramnik durch die Siege über Kasparov, Leko (Wettkampfsieger nach
Gleichstand) und Topalov (Sieger nach Stichkampf) seine Wettkampfhärte
bewiesen.

Anand sagt man nach, dass er die direkte Konfrontation Mann-gegen-Mann in
den Wettkämpfen nicht mag. 1995 spielte er als Herausforderer gegen Gari
Kasparow, kam aber mit dessen Minenspiel und Körpersprache nicht zurecht und
unterlag unter Wert. Mit Ausnahme des Mini-Wettkampfes gegen Shirov bei der
FIDE-WM 2000 und Schnellschachwettkämpfen hat Anand seitdem kein wirklich
bedeutendes Match gespielt.

Sollte es hingegen zu einem Stichkampf kommen, könnten die Vorteil wieder
auf Seiten von Anand liegen, der als weltbester Schnellschachspieler gilt.

Im Wettkampf kommt es darauf an, seine Schwarzpartien sicher zu remisieren,
während man mit Weiß versucht, einen vollen Punkt zu machen. Mit dieser
schlicht wirkenden Strategie  war Kramnik gegen Kasparov überaus
erfolgreich, als er die bis dahin unterbewerte Berliner Verteidigung
anwandte und von Kasparow nicht ein einziges Mal bezwungen werden konnte.
Auch die Bilanz der beiden Kontrahenten in den bisherigen Treffen bei
Turnieren spricht für Kramnik. Neben zahlreichen Remisen gewannen beide
immer mit den weißen Steinen - Anand zweimal, Kramnik sechs Mal. Kramnik ist
zudem "beidhändig". Er kann 1.e4 oder 1.d4 (bzw. 1.Sf3) eröffnen,  je nach
Matchstand variieren und verschafft Anand damit auch ein größeres
Arbeitsgebiert für die Vorbereitung. Der Titelverteidiger konzentriert sich
in seiner Eröffnungswahl auf 1.e4 - die Eröffnung mit dem Damenbauer sieht
man beim Inder nur ganz selten.

Mit den schwarzen Steinen hat Kramnik mit der Russischen Verteidigung (1.e4
e5 2.Sf3 Sf6) und der Berliner Variante (1e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 Sf6 4.0-0
Sxe4) zwei Eröffnungen gegen 1.e4 im Repertoire, die nur ganz schwer zu
knacken sind. Immerhin gelang es dem deutschen Spitzenspieler Arkadij
Naiditsch jüngst beim Turnier in Dortmund, Kramnik zu überraschen und seine
Verteidigung zu knacken. Vielleicht hatte Anand diese Neuerung auch schon
gefunden, doch nun ist sie verbrannt: Ein zweites Mal wird Kramnik sich hier
bestimmt nicht überraschen lassen. Mit den schwarzen Steinen hat Anand gegen
1.e4 eine Reihe von Verteidigungen im Repertoire, darunter die
Najdorfvariante (1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6) , die
Tajmanovvariante (1.e4 c5 2.Sf3 e6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sc6) und den
Marshallangriff (1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0-0 Le7 6.Te1 b5
7.La4 0-0. 8.c3 d5) . Falls Kramnik mal 1.e4 spielen möchte, kann Leko ihn
gegen den zweischneidigen Marshallangriff bestens beraten. Gegen 1.d4 greift
Anand entweder zur Nimzoindischen bzw. Damenindischen Verteidigung (1.d4 Sf6
2.c4 e6)- hier hat Kramnik mit seiner Wiederentdeckung der Katalanischen
Eröffnung (3.g3) den Schwarzspielern einige Aufgaben gestellt - zum
angenommenen Damengambit (1.d4 d5 2.c4 dxc4) oder zur Halbslawischen
Verteidigung.

So könnte also das normale Szenario aussehen: Weiß versucht nach 1.e4
Kramniks Berliner Verteidigung oder vielleicht die Russische Verteidigung zu
knacken. Und Kramnik rechnet damit, dass Anand der Katalanischen Eröffnung
ausweicht und versucht ihn ihm Halbslawen zu knacken. Oder wird es einige
heftige Überraschungen geben?

Sollte es am Ende zu einem Stichkampf kommen, könnten die Vorteile auf
Seiten von Anand liegen, der als weltbester Schnellschachspieler gilt.

Die Zeit vor dem Wettkampf lief für beide Spieler nicht optimal. Kramnik
spielte in Dortmund ein grauenhaftes Turnier und in Moskau ein nicht so
gutes. Für Anand war das Turnier in Bilbao eine Katastrophe. Beide haben
ihre besten Neuerungen und ihre ganze Motivation offenbar für diesen
wichtigen Wettkampf aufgespart. Das lässt die Schachfreunde auf ein großes
Spektakel hoffen.

Das Interesse der Presse an diesem Schachereignis Deutschland scheint groß
zu sein. Zahlreiche Artikel sind bereits erschienen und die ARD hat
tatsächlich in ihrem Videotext mehrere Seiten der Geschichte der
Schachweltmeisterschaft gewidmet. Das Pressezentrum in der Bundeskunsthalle
ist schon zwei Stunden vor Partiebeginn dicht gefüllt. Nach langer und
intensiver Vorarbeit, besonders auf Seiten der durchführenden UEP freuen
sich alle auf den Beginn, heute um 15 Uhr. Auch die Spieler. Beide wirkten
in den offiziellen Vorveranstaltungen sehr entspannt. Besonders Kramnik
strahlte große Gelassenheit aus. Ob er sich hin der Bundeskunsthalle im
Vorteil fühle, da er ja hier schon den Wettkampf gegen Deep Fritz gespielt
habe, wurde er gefragt: "Na klar, ich weiß ja schon wo die Toilette ist und
wo es Kaffee gibt!"

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