Schach-WM in Bonn (14.10.- 02.11.2008) Internet: www.uep-worldchess.com Videotext: ARD ab Tafel 810 mit Partienotation 18.10.2008 - Zwischenstand: Anand-Kramnik 2,5-1,5 20.10.2008 - 5. Partie Kramnik gegen Anand 20.10.2008 - Frankfurter Rundschau Schwarzer Freitag - VON HARTMUT METZ Bei der Weltmeisterschaft in Bonn feierten die Schach-Fans ihren Weltmeister: Erstmals brandete Applaus auf, durchmengt mit "Bravo"-Rufen in der Bundeskunsthalle. Die Ovationen galten Viswanathan Anand. Der Inder beendete am Freitagabend mit einem grandiosen Sieg mit Schwarz die Negativserie gegen Wladimir Kramnik. Der 38-jährige Titelverteidiger führt nach dem am Samstag folgenden Remis jetzt 2,5:1,5. Der Zweikampf, für den beide Großmeister 600 000 Euro Preisgeld erhalten, geht über maximal zwölf Partien. "Ein Thriller", "eine faszinierende Partie", "sensationell draufgängerisch": Die 500 Zuschauer, die 35 Euro Eintritt für einen Platz im ausverkauften Forum berappt hatten, und die Abertausende, die der Live-Übertragung im Internet gefolgt waren, überschlugen sich bei ihren Lobeshymnen. Anand beendete am Freitag eine schwarze Serie, die 53 Begegnungen gewährt hatte. Im 54. Duell mit seinem Dauerrivalen gelang dem "Tiger von Madras" der erste Schwarz-Sieg. Bis dahin hatte er Kramnik lediglich viermal mit Weiß bezwingen können. Der Russe behielt sechsmal als Anziehender die Oberhand. Mit Schwarz war beiden vor Anands Coup am Freitag nie mehr als ein Remis gelungen. Die vierte Partie endete tags darauf ohne sonderliche Höhepunkte nach 29 Zügen wieder friedlich. Anand war zufrieden mit seiner Führung, und Kramnik wohl froh, dass er mit Schwarz nicht schon vorentscheidend mit 1:3 in Rückstand geriet. Dennoch dürfte ein Fan Recht behalten, der jauchzte: "Applaus für beide Spieler für diese intensive Schlacht! Endlich geht's richtig los." Kramnik ist nun in Zugzwang und muss auf Biegen und Brechen angreifen. Das versuchte er bereits im dritten Vergleich, der als eine der atemberaubendsten Partien in die WM-Geschichte eingehen wird. Anand zeigte sich wieder besser vorbereitet und überraschte seinen Kontrahenten mit einem neuen Turm-Manöver im 17. Zug. Daraufhin verfiel erst Kramnik in tiefes Brüten. Nach einem kühnen Läufer-Opfer, das dem Russen eine starke Attacke versprach, musste wiederum der Inder 40 Minuten lang nachdenken. Letztlich entkam der schwarze König den feindlichen Nachstellungen, weil der 38-Jährige die Figur zurückgab. Die Abwicklung kostete Anand zwar zudem zwei Bauern, doch für diesen normalerweise entscheidenden Materialnachteil ging er in den Angriff. Da die zweistündige Bedenkzeit immer knapper wurde, konnte der jetzt in die Bredouille geratene weiße König nur unter Preisgabe der Dame dem Mattnetz entrinnen. "Mir entgingen die zwei Läuferzüge erst nach g2 und dann nach h3. Anschließend patzte ich mit dem Turmzug nach a3. Ganz schlecht war dann noch der Bauernvormarsch nach f3", analysierte Kramnik und resümierte: "So stand ich im 32. Zug auf verlorenem Posten." Anand vollstreckte den Angriff angesichts der Zeitnot zwar nicht perfekt, zeigte sich aber trotz des Materialnachteils sorglos. "Ich war mir auch nicht ganz sicher, ob es reicht. Notfalls hätte ich jedoch immer ein Remis gehabt", befand der Mann aus Madras und strahlte, weil er ausgerechnet bei der WM der schwarzen Serie den Garaus gemacht hatte. Angesichts des Sieges störte es den Bundesliga-Spitzenspieler der OSG Baden-Baden wenig, dass ihm in seiner Heimat ein Rivale die Schlagzeilen auf den Titelseiten raubte. Die Handvoll indischer Journalisten, die in Bonn dem dreifachen indischen Sportler des Jahres an den Lippen hängen, wurden mit ihren Berichten in den Innenteil der Zeitungen verbannt. Grund: Anands Landsmann Sachin Tendukar stellte einen neuen Weltrekord auf - den der meisten gelungenen "Runs" in Kricket-Testspielen. Hunderttausende indische Kinder pilgern wegen Weltmeister Anand in Schachschulen - nur den Nationalsport Kricket konnte er noch nicht von Platz eins der Beliebtheitsskala verdrängen. Tendukar wird daher auch dieses Jahr ein harter Konkurrent sein, wenn der beste Sportler des Subkontinents gewählt wird - selbst wenn Anand die Titelverteidigung in der Bundeskunsthalle souverän gelingt.