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Info-Mail Schach Nr. 1091


Wegen 10000 Euro
(Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 04.08.2010)

(von Andreas Liebmann)

Nach Streit mit dem Verband boykottieren die vier besten Deutschen die
Schacholympiade

Ein Vergleich mit dem Fußball sollte sich eigentlich verbieten. Dennoch,
ganz kurz: Man stelle sich vor, die gesamte A-Nationalmannschaft würde die
nächste WM boykottieren, weil sie sich mit dem Verband nicht auf eine Gage
einigen konnte. Das ist kaum vorstellbar, doch beim Deutschen Schach- Bund
(DSB) ist genau das passiert. Der gesamte A-Kader wird die Schacholympiade
im September auslassen, den immerhin bedeutendsten Mannschaftswettbewerb
dieser Sportart. Wegen eines Streits über etwa 10000 Euro.
So viel mehr hatten die Spieler nämlich vom Verband gefordert - ihre
Honorare sind seit 1990 nie gestiegen, sondern gesunken. Der DSB sah sich
außerstande: 'Was wir angeboten haben, ist das Maximale, was wir leisten
können', versichert DSB-Präsident Robert von Weizsäcker. Deutschlands Nummer
vier, Jan Gustafsson, ging selbst mit einem Bettelbrief auf Sponsorensuche,
ohne Erfolg. Also winkten die vier besten des Landes ab. Weizsäcker, selbst
Fernschach-Großmeister, forderte das Quartett in einem Brief Ende Juni zum
Umdenken auf: Der Verband werde sonst seine Förderung einstellen. 'Mein Herz
schlägt für die Spieler', erklärt er, 'aber wenn sie nur aufs Geld schauen -
was ich bei Berufsspielern verstehen kann -, ist der DSB überfordert.' Die
Gage sei den Spielern wichtiger als die Chance, für Deutschland anzutreten.
Das Tischtuch sei nicht zerrissen, versichert Weizsäcker, Sohn des
ehemaligen Bundespräsidenten. Für die Olympiade 2012 wolle er 'eine Brücke
bauen'. Doch ohne personelle Einschnitte dürfte es keine Annäherung geben,
zumindest nicht mit Arkadij Naiditsch, Deutschlands Nummer eins. Der hat vor
wenigen Tagen mit einem offenen Brief im Internet die gesamte
Funktionärsriege abgewatscht. Über Bundestrainer Uwe Bönsch schreibt er,
dessen einziges Verdienst sei, den Spielern hervorragenden Schwarztee
zuzubereiten. 'Nicht einmal hat er sich die geringste Mühe gegeben,
irgendeinem in der Mannschaft beim Schach zu helfen. Aber er wäre der Star
in jedem Teehaus.'
'Es ging uns um eine Geste'
Was Leistungssportreferent Klaus Deventer eigentlich tue, habe er,
Naiditsch, bis heute nicht herausgefunden - außer 'jeden davon abzubringen,
professioneller Schachspieler zu werden'. Turnierdirektor Ralph Alt pflege
die Turniere in Deutschland strikt an seinem Urlaubsplan auszurichten, was
heuer zur Folge hatte, dass sich deutsche und europäische
Einzelmeisterschaft überschnitten. Und Jugendfunktionär Jörg Schulz habe
eine GmbH gegründet, die zwar Profis unter anderem für die Schacholympiade
bezahlen soll - die aber selbst nichts einnehme. Dass der Verband so arm
ist, liegt laut Weizsäcker an fehlenden Sponsoren. Schach werde zwar häufig
als Werbemotiv verwendet, aber dafür zahle natürlich niemand. Medial sei der
Denksport kaum zu verwerten. 'Unsere einzige Chance für die Zukunft ist das
Internet.' Zur Kritik am Bundestrainer erklärt der Präsident, der Naiditschs
Brief nicht im Detail kommentieren will: 'Auf diesem Niveau ist es schwer,
Trainer zu finden, die den Spielern wirklich helfen können. Man bräuchte
absolute Spitzenkräfte, die aber sehr teuer sind.'
Gustafsson klingt moderater als Naiditsch, dessen Brief er 'etwas dick
aufgetragen' nennt. Aber Weizsäckers Argument stimme nicht: 'Solche Trainer
sind nicht teuer', versichert er. Er und seine Kollegen Naiditsch, Georg
Meier und Daniel Fridman wollten 'nicht reicher werden, sondern besser'. Es
gehe um die Grundsatzentscheidung, ob der Verband bereit sei, auch seine
Spitzenspieler zu fördern. Bönsch sei tatsächlich eher ein Manager, denn ein
Trainer. 20000 Euro hatte Gustafsson einzutreiben versucht, um ein
Trainingslager zu finanzieren. Zum Thema Honorar erklärt er: 'Im Gegensatz
zu den Fußballern spielen wir in mehreren europäischen Ligen gleichzeitig,
um unsere Brötchen zu verdienen.' Sie seien 'darauf angewiesen', für ihre
Einsätze in der Nationalmannschaft angemessen bezahlt zu werden. 'Es ging
uns bei unserer Forderung aber hauptsächlich um eine Geste, um ein
Bekenntnis des Verbands zu seinen Spitzenspielern.' Das kam nicht. Vier
Monate vergingen ohne Treffen mit den Funktionären.
Mit dem B-Team nach Sibirien
Gustafsson hofft, dass sich der Verband künftig endlich wirklich mit
Sponsoring und Marketing beschäftige. 'Ich kann nicht glauben, dass einer
der größten Schachverbände keinen Werbewert besitzt.' Naiditsch liefert eine
eigene Erklärung, wieso der DSB trotz seiner 93000 Mitglieder kein Geld
habe. 'Das Hauptproblem sind die Meetings, die fast monatlich von einer
Vielzahl hungriger Offizieller besucht und in teuren Hotels abgehalten
werden', schreibt er.
Der DSB wird nun ein junges B-Team ins sibirische Chanty-Mansijsk schicken,
wo die Olympiade am 21. September beginnt. Danach will Weizsäcker alles ins
Reine bringen, eine konkrete Idee für die Zukunft scheint ihm indes zu
fehlen. Auf die Frage, wie andere Verbände an Geld kommen, antwortet er: 'In
Osteuropa hat Schach einen viel höheren Stellenwert. Und in Westeuropa - das
weiß ich selbst nicht so genau.' Derzeit bewirbt sich der Professor für
Volkswirtschaftslehre um den Vorsitz der Europäischen Schachunion. Ein
Wahlversprechen ist die Anwerbung von Sponsoren.

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