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Info-Mail Schach Nr. 1215


Vom Außenseiter zum Europameister:
(Quelle: Zeit online)

Den größten Teamerfolg seiner Geschichte verdankt der deutsche Schachbund 
dem usbekischen Großmeister Kasimdschanow.

Der Schlachtplan für den entscheidenden Wettkampf gegen den 
Schachweltmeister Armenien wurde auf einem nächtlichen Spaziergang rund um 
die griechische Ferienanlage Porto Carras auf Sithonia entworfen. "Georg, 
die beste Chance, eine Partie zu gewinnen, haben wir an Deinem Brett", sagte 
der mit der deutschen Mannschaft angereiste Trainer Rustam Kasimdschanow 
leise.

Georg Meier, ein 24-jähriger Trierer, derzeit Wirtschaftsstudent an der 
Texas Tech University in Lubbock, konnte nicht sicher sein, ob er richtig 
verstanden hatte. Schließlich führte er die schwarzen Steine, ging nicht mit 
dem Vorteil des ersten Zugs ins letzte Europameisterschafts-Spiel. Und in 
Sergei Movsesian erwartete ihn ein fast sechzig Weltranglistenplätze vor ihm 
klassierter Gegner.

Doch Kasimdschanow hatte weiter gedacht: "Mit Weiß wird sich der Armenier 
gezwungen fühlen, auf Gewinn zu spielen. Aber gegen Georg in dieser Form zu 
gewinnen, ist sehr schwierig", sagt Kasimdschanow.

Meier sollte die Französische Eröffnung spielen. Wenn Movsesian dann auf die 
Vorstoßvariante verzichtete, sollte Meier jedoch nicht seine übliche 
Rubinstein-Variante spielen, mit der er fast immer ein Remis bekommt, aber 
selten gewinnt, sondern in die schärfere Hauptvariante einlenken. "Ich kann 
nicht sagen kann, ob das Georgs oder meine Idee war, wir haben so viel 
diskutiert und zusammen analysiert", so Kasimdschanow.

Die Marschroute des 31-Jährigen, der in der Bundesliga neuerdings zusammen 
mit Meier, Arkadi Naiditsch und Jan Gustafsson für Meister OSG Baden-Baden 
spielt, wurde am folgenden Tag umgesetzt: Am ersten Brett unternahm der 
Dortmunder Naiditsch mit Weiß keinerlei Gewinnversuche gegen Armeniens 
Spitzenspieler Lewon Aronjan. Nach nicht einmal zehn Minuten war ein 
Unentschieden vereinbart. Wenig später gab der Bochumer Daniel Fridman die 
einzige weitere Weißpartie remis.

An den beiden verbliebenen Brettern hatte das deutsche Team Schwarz. Das 
bedeutet in der Regel zunächst Defensive, doch schon in den vorangehenden 
Runden wurden die entscheidenden Punkte mit den schwarzen Figuren erzielt: 
Beim 2,5:1,5 gegen Rumänien ließ sich Fridman einen Springer wegnehmen, um 
das ausschlaggebende Tempo für einen Konter zu gewinnen. Gegen Aserbaidschan 
provozierte Naiditsch den Weltranglistenfünften Teimur Radschabow zu einem 
zum Scheitern verurteilten Angriff.

Meiers Variantenwechsel brachte Movsesian wie beabsichtigt aus dem Konzept. 
Mit Aufmerksamkeit und taktischen Schlägen an beiden Flügeln gewann er eine 
mustergültig geführte Partie. Als Meiers Mannschaftskollege Gustafsson alle 
Gewinnversuche Sargissjans abgewehrt hatte, war ein 2,5:1,5 perfekt.

Deutschland war Europameister vor Aserbaidschan und Ungarn. Armenien blieb 
nur der vierte Platz. Dauerfavorit Russland, das bis vor zehn Jahren fast 
alle Titel einstrich, steckte mit Platz fünf eine weitere Enttäuschung ein.

Noch schlimmer erwischte es den Sieger der letzten Schacholympiade: Die 
Ukraine wurde Fünfzehnter. Für den Deutschen Schachbund ist es nur ein Jahr 
nach seiner vielleicht schwersten Blamage, dem 64. Platz bei der 
Schacholympiade, der größte Mannschaftserfolg in seiner 134-jährigen 
Geschichte.

Alle fünf deutschen Großmeister, auch der gegen Armenien pausierende Rainer 
Buhmann aus Hockenheim, punkteten bei der EM besser, als ihre Elozahlen 
erwarten ließen. Außer bei der einzigen Niederlage gegen Bulgarien ging 
keine Partie verloren. "Es wurde unglaublich professionell für den Erfolg 
gearbeitet", sagt Buhmann. Ohne Konkurrenzdenken und Geheimnistuerei seien 
sogar persönliche Analysen zwischen den Profis ausgetauscht worden.

Der im vorigen Jahr eskalierte Honorarstreit mit dem Schachbund dürfte ihren 
Zusammenhalt gestärkt haben. Voll des Lobs ist Buhmann auch für 
Kasimdschanows Tipps in der Vorbereitung, die allen zusätzliches 
Selbstbewusstsein verschafft haben.

"Starke Schachspieler sind von Natur aus misstrauisch", sagt Kasimdschanow. 
"Bei vielen Teams wäre meine Hilfe nicht angekommen. Die Russen hätten von 
mir nichts angenommen. Aber die deutschen Spieler haben sehr schnell 
verstanden, dass ich da war, um ihnen zu helfen."

Kasimdschanow, der mit seiner Familie in Ruppichteroth im Bergischen Land 
wohnt, spricht fast perfekt Deutsch. Dass Weltmeister Anand auf seine 
Analysen setzt, die etwa 2008 in Bonn zwei vorentscheidende Schwarzsiege im 
WM-Kampf gegen Kramnik brachten, ist bekannt. Wie der Fide-Weltmeister des 
Jahres 2004 schachlich arbeitet, wusste im deutschen Team allerdings nur 
sein gelegentlicher Trainingspartner Fridman, der ihn im September beim 
Deutschen Schachbund ins Gespräch brachte.

Die Verpflichtung eines Theorietrainers forderten Naiditsch, Meier, Fridman 
und Gustafsson neben höheren Honoraren bereits 2010. Damals fehlte es dem 
Schachbund nicht nur an Mitteln sondern auch an Verständnis für die 
frustrierten Profis. Die damalige Verbandsspitze war drauf und dran, 
Naiditsch und Meier dauerhaft zu verbannen. Neue Sponsoren haben dann nur 
die finanzielle Seite des Konflikts gekittet.

Tage vor der EM stand Naiditsch aufgrund einer zynischen Bemerkung über den 
eigentlichen Bundestrainer Uwe Bönsch nochmals vor dem Rausschmiss. Nur ein 
Machtwort des seit Mai amtierenden Präsidenten Herbert Bastian 
beschwichtigte die Gemüter.

Ob sich der Geist von Porto Carras in die Zukunft retten lässt, ist mehr als 
fraglich. Als Trainer für die Schacholympiade 2012 in Istanbul steht 
Kasimdschanow nicht zur Verfügung: "Ich werde für mein Heimatland Usbekistan 
spielen. Das ist keine Frage des Geldes."

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