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Info-Mail Schach Nr. 1472


Integration am Schachbrett  - eine Zeitreise der besonderen Art
(von Kersten Linke, Leiter der Schach-AG am Konrad-Adenauer-Gymnasium in 
Langenfeld)

Seit einigen Jahren hat die Schach AG des Konrad-Adenauer- Gymnasium (KAG) 
in Langenfeld schon Kontakt zu blinden und sehbehinderten Schachspielern. 
Ein Langzeitprojekt, das eher zufällig begann. Bei einem Tag der offenen Tür 
spielte Daniel, ein Junge aus meiner Gruppe, mit verbundenen Augen gegen den 
damaligen  Schulleiter. Von den Zuschauern wurde danach die Frage gestellt, 
ob dies " nur " eine Showveranstaltung war, oder , ob blinde Mitbürger 
tatsächlich das königliche Spiel beherrschen. Ich konnte diese Frage 
beantworten, da im Nachbarschachverein ein blinder Spieler in der Mannschaft 
spielte, gegen den ich regelmäßig antreten durfte, aber nie über ein Remis 
hinaus kam. Für die Kinder waren das jedoch nur Worte und es galt, den 
Beweis anzutreten. Dabei halfen die blinden Schachfreunde aus Essen und 
Köln. Bei zahlreichen Besuchen, konnten sich die KAG Schüler nicht nur von 
der Richtigkeit meiner Worte überzeugen, sondern bekamen auch Einblicke in 
eine ganz andere Welt. Die Berichte der Kinder wurden nicht nur in der 
Lokalpresse veröffentlicht, sondern suchten sich auch ihren Weh im Netz.
" Die Welt der Blinden ist klein", meldete sich dann Josef Esser aus Köln, 
" hättet ihr Interesse an weiteren Kontakten?" Kurze Zeit später kam 
erstmalig eine Einladung aus Haaksbergen zum IBIS, dem Internationalen 
Blinden Integration Schachturnier. Die KAG Schüler blieben durch ihren 
Umgang mit behinderten Mitbürgern nachdrücklich in Erinnerung und seit dem 
erhalten wir jedes Jahr wieder eine Einladung. " Ich habe einen Freund in 
England", meldete sich dann Ewald Heck, den die Leser des Schachkomet sicher 
als Pressereferenten des Deutschen Blindenschachbundes kennen. Dieser Freund 
heißt Chris Ross und wir konnten ihn  überreden, bei einem Tag der offenen 
Tür via Skype simultan zu spielen.
Die Mutter eines Sechstklässlers, der jetzt in meiner Schachgruppe spielt, 
erinnert sich noch nach über einem Jahr an das Bild, das sie gesehen hat: 
" Da saßen an drei Brettern ganz still die Kinder und plötzlich ertönte eine 
Stimme aus dem " Jenseits", die die Züge übermittelte. Man hätte eine 
Stecknadel fallen hören können. Und während der Partien, wechselte die 
Stimme plötzlich von Englisch zu Deutsch Irgendwie war es unglaublich, wenn 
ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte." Der Leser, der Chris kennt, 
kann sicher denken, dass er alle Partien gewonnen hat.  Ein Jahr später 
konnten wir Chris zu einem Weihnachtsbesuch begrüßen. Anschließend schrieb 
er darüber einen Bericht an " Braillechessgroup " Und es meldeten sich 
andere blinde Schachfreunde, die sich vorstellen konnten, gegen diese 
deutschen Kinder zu spielen. Beim nächsten Tag der offenen Tür hatten wir 
dann via Skype Olivier de Ville aus Frankreich als Gast und eine ganze 
Gruppe von Fünftklässlern , die sich beraten durfte, verlor das Endspiel, in 
dem Oliver seinen Mehrbauern aus der Eröffnung traumhaft sicher verwertete.
Auf den Artikel von Chris meldete sich noch ein weiterer Schachfreund aus 
London, der uns nun eine Zeitreise- nicht nur in die Geschichte des 
Blindenschachs- ermöglicht, der 91. jährige Hans Cohn. Bei einer bekannten 
Suchmaschine findet man die folgende Vorgeschichte:

Herr Cohn ist im Alter von 11 Jahren erblindet. Er besuchte das Französische 
Gymnasium in Berlin. In der dortigen Aula gab es eine Schlägerei zwischen 
einem Hitlerjungen und einem Juden, bei der Herr Cohn als Unbeteiligter 
einen Schlag ins Auge bekam. Er durfte, obwohl gleichfalls Jude und jetzt 
auch blind, die Schule noch bis zur Obertertia weiterbesuchen, da sein Vater 
Frontkämpfer im ersten Weltkrieg gewesen war und Studiendirektor Rötig sich 
für ihn einsetze.
Frau Cohn brachte Ihren Sohn im Jahre 1938 in eine englische Blindenschule 
und kam im Jahre 1939 gleichfalls nach England, während sein Vater in 
Deutschland blieb und Opfer des Holocaust wurde.

Den Namen kennen vielleicht die älteren Leser des Schachkomet auch im 
Zusammenhang mit der IBCA und so lag es nahe, mal zu fragen, wie es dann 
weitergegangen ist. Hans ging auf die Blindenschule in Worcester, einem Ort 
in Mittelengland und entging so den Bombenangriffen auf London. Über seinen 
ebenfalls blinden Mathematik Professor Reginald Bonham, kam er mit Schach in 
Kontakt. Der Prof hatte auch die Idee, die zur Gründung der IBCA führte. Die 
erste Blindenschacholympiade fand 1961 in Meschede statt und im englischen 
Team stand  Hans Cohn. " Drei Jahre später in Kühlungsborn in der DDR, war 
das dann ein Thema für die Presse", erzählte Hans, ohne auf Einzelheiten 
einzugehen und ich habe auch nicht nachgefragt. Bei der dritten Austragung 
des Turniers in England, war Hans dann selbst der Organisator: " Die 
Anreisekosten mussten die Mannschaften selbst tragen, aber die kompletten 
Unterbringungskosten haben wir übernommen", erinnert er sich. Keine billige 
Angelegenheit, denn aus den sechs Mannschaften zum Auftakt, waren 19 Teams 
geworden. Hans übernahm auch verschiedene Funktionen innerhalb er IBCA. Nach 
Deutschland ist er nur zu Schachturnieren und zum Winterurlaub 
zurückgekehrt. Ein Ausreise nach Israel hat er erwogen, aber von dort nie 
eine Antwort auf seine Anfrage erhalten.

Hans hat auch zweimal beim IBIS in Haaksbergen, das ich eingangs erwähnte, 
gespielt. So schließt sich der Kreis, oder " die Welt der Blinden ist klein". 
Gespielt haben wir beim ersten Livekontakt noch, werden uns aber sich 
verabreden. Leicht dürfte die Aufgabe für die Kinder ausmeiner Schachgruppe 
nicht werden, denn Hans hat " im zarten Alter" von 76 Jahren noch den 
zweiten Platz bei der Deutschen Blindenschachmeisterschaft der Senioren 
belegt.

Eingangs habe ich das Wort " Langzeitprojekt" verwendet: Daniel studiert nun 
im Promotionsstudiengang in Kalifornien und unser Kontakt besteht weiter.

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