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Info-Mail Schach Nr. 172


Hallo Schachfreunde,

die FIDE-WM in Moskau ist zu Ende! Wie Herbert gestern schon kurz gemeldet
hat und wie in den Medien bereits zu erfahren war, sicherte sich der erst
18jährige Ukrainer Ruslan Ponomariov gestern durch ein Remis in der 7.
Partie den Gesamtsieg im Finale der FIDE-WM und wurde damit zum jüngsten
Schachweltmeister aller Zeiten.

Das ganze Spektakel dauerte nur eine gute Woche und dürfte damit wohl auch
zu den kürzesten WM-Matches in der Schachgeschichte gehören. Monatelange
"Stellungskriege" wie in den Begegnungen zwischen Kasparov und Karpov oder
zwischen Karpov und Korchnoi blieben den Schachfans diesmal erspart.

In Info-Mail Schach könnt Ihr heute die - noch sehr kurze - Biographie des
frischgebackenen Weltmeisters lesen.

Der Vollständigkeit halber am Ende der Mail auch noch die Partien 6 und 7,
wenngleich der Adrenalinspiegel beim Nachspielen nicht sonderlich ansteigen
dürfte. Ivanchuk scheint nach der Niederlage in Partie 5 wohl schon
vorzeitig resigniert zu haben.

Für Info-Mail Schach ist damit die Berichterstattung von der FIDE-WM
abgeschlossen und wir werden uns wieder anderen Ereignissen zuwenden.

Für heute verabschiedet sich von Euch
Toni aus Augsburg


Die Weltmeisterschaft in Moskau

Der neue Weltmeister muss das Aufgeben lernen

Ruslan Ponomarjow jüngster Schach-Champion aller Zeiten
von Hartmut Metz, Januar 2002

In nur elf Jahren vom Anfänger auf den Schach-Thron. Mit sieben lernte
Ruslan Ponomarjow die Grundzüge des königlichen Spiels, seit Mittwoch ist
das im ostukrainischen Gorlowka geborene Wunderkind jüngster
Schach-Weltmeister aller Zeiten. Die Bestmarke hatte bis dahin Garri
Kasparow gehalten, der 1985 mit 22 den Titel gewann. Just 22 Züge dauerte
auch die unspektakuläre letzte Partie in Moskau, in der sich sein Landsmann
Wassili Iwantschuk in das Remis zum 4,5:2,5-Endstand fügte.
Als Ponomarjow mit elf ins Blickfeld der Experten geriet, prophezeiten sie
dem schmächtigen Buben anhand seiner Partien, er trage den Marschallstab im
Tornister. Vor allem die Reife der Spielanlage, die nichts Kindliches in
sich barg, sondern streng der Logik Erwachsener folgte, verblüffte die
Koryphäen. So gewann das in Kramatorsk lebende Talent bereits mit zwölf die
U18-Europameisterschaft und heimste das Jahr darauf den U18-WM-Titel ein.
Mit 14 Jahren und 17 Tagen brachte es Ponomarjow 1997 als jüngster Spieler
aller Zeiten zu Großmeister-Ehren. Mit 16 führte er die U20-Weltrangliste
an. Im Juni teilte der Jurastudent den ersten Platz bei der
Europameisterschaft mit Emil Sutovsky (Israel) und führte im Oktober dank
einer Glanzleistung die Ukraine zur Mannschafts-Weltmeisterschaft.
 Der steile Aufstieg katapultierte ihn Anfang Januar in der Weltrangliste
von Platz 20 auf sieben. Mit 2.727 Elo-Punkten steht er nun direkt vor dem
bisherigen Aushängeschild seiner Heimat, Iwantschuk (2.717). Ein Ende der
"Klettertour" nach oben ist noch lange nicht abzusehen. Der neue Champion
des Weltverbandes FIDE, der die nächste WM Ende 2003 in London auszutragen
gedenkt und dem Sieger von Moskau 400.000 Dollar überweist, bereitet sich
professioneller als mancher Konkurrent vor. Der vor der WM als Geheimtipp
gehandelte Ponomarjow hatte eine sechswöchige Spielpause eingelegt, um sich
in aller Ruhe vorzubereiten. Zudem achtet der 18-Jährige auf körperliche
Fitness, schwimmt und macht Gymnastik. Stundenlange Konzentration am Brett
erfordert Kondition. Die besitzt der Schützling des zweifachen ukrainischen
Landesmeisters Gennadi Kusmin. Trotzdem nahm er in den sechs K.o.-Runden
drei Kilogramm auf unter einen Zentner Lebendgewicht ab.
 Der schmalbrüstige, ja beinahe zerbrechlich wirkende Kramatorsker erinnert
an den jungen Anatoli Karpow. Auch mit dem Stil des zwölften
Schach-Weltmeisters wird die Nummer 17 dieser Reihe gerne verglichen. "Oh
ja, wir machen beide technische Schnitzer und lassen unsere Gegner noch
entwischen", scherzte Ponomarjow diesbezüglich. Die äußerliche Konstitution
täuscht jedoch über deren Zähigkeit hinweg: Beider Stil besteht aus
geduldigem Lavieren. Springt ein Kasparow die Gegner wie eine Raubkatze an,
erinnert das Vorgehen von Ponomarjow wie Karpow an eine Würgeschlange:
Langsam und unscheinbar engen sie ihr Opfer ein, schnüren ihm die Luftzufuhr
ab, bis es ermattet darnieder sinkt. Gelingt es Kontrahenten wie Iwantschuk,
die Umklammerung zu lösen und selbst die Daumenschrauben anzuziehen,
verteidigen sich die Ponomarjows und Karpows dieser Welt jenseits jeglicher
schachlicher Schmerzgrenze.
Diese leidvolle Erfahrung musste der spielerisch überlegene, aber nervlich
schwächere Iwantschuk machen. Sein Widersacher zog mehrfach den Kopf aus der
Schlinge. Die sieben Final-Partien bewertete Ponomarjow deshalb
selbstkritisch: "Das war armseliges Niveau ohne richtigen Kampf." Der
32-jährige Iwantschuk meint, sein junger Landsmann müsse noch viel lernen.
Vor allem das Aufgeben! Im "Wimbledon des Schach", im spanischen Linares,
kämen im Februar ganz schwere Zeiten auf Ponomarjow zu, wenn er im Kreis der
versammelten Weltelite wie im WM-Finale agiere. "Ruslan hat bisher noch kein
Superturnier gespielt. Deshalb weiß er nicht, dass es sich nicht lohnt,
hoffnungslose Stellungen zu verteidigen. Es ist besser aufzugeben und seine
Nerven und Kräfte zu schonen." Neben Iwantschuk brennen vor allem der
Weltranglistenerste Kasparow, der ebenso wie Braingames-Weltmeister Wladimir
Kramnik das FIDE-Championat boykottiert hatte, und der im Halbfinale
ausgeschiedene Ex-Weltmeister Viswanathan Anand (Indien) darauf, dem jungen
Burschen in Linares diese Lehre zu erteilen.


Ivanchuk,Vassily (2717) - Ponomariov,Ruslan (2727) [C42]
FIDE-WM Finale Moskau (6), 2002
1. e4 e5 2. Sf3 Sf6 3. Sxe5 d6 4. Sf3 Sxe4 5. d4 d5 6. Ld3 Sc6 7. 0-0
Le7 8. c4 Sb4 9. Le2 0-0 10. Sc3 Le6 11. Se5 f6 12. Sf3 Kh8 13. h3 f5
14. a3 Sc6 15. Sxd5 Lxd5 16. cxd5 Dxd5 17. Da4 Lf6 18. Td1 Tad8 19. Le3
f4 20. Lxf4 Sxd4 21. Sxd4 Lxd4 22. Le3 c5 23. Lxd4 cxd4 24. f3 d3 25.
Dxe4 Dxe4 26. fxe4 dxe2 27. Td5
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Ponomariov,Ruslan (2727) - Ivanchuk,Vassily (2717) [B04]
FIDE-WM Finale Moskau (7), 2002
1. e4 Sf6 2. e5 Sd5 3. d4 d6 4. Sf3 Sc6 5. c4 Sb6 6. e6 fxe6 7. Sc3 g6
8. Le3 Lg7 9. h4 0-0 10. h5 e5 11. d5 Sd4 12. Sxd4 exd4 13. Lxd4 g5 14.
Lxg7 Kxg7 15. h6+ Kg8 16. Dd2 e5 17. Th5 g4 18. Dg5+ Dxg5 19. Txg5+ Kh8
20. Tg7 Tf6 21. Txc7 Txh6 22. b4
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