Hallo Schachfreunde, auch wenn das Wetter eher nicht an den Sommer erinnert, kann - wie bereits von Toni erwähnt - weiterhin von einem Sommerloch im Blindenschach gesprochen werden. Schachlicher Hochbetrieb herrschte jedoch in der letzten Woche bei den Chess Classic in Mainz. Erneut - Mainz bleibt Mainz - ist es den Veranstaltern gelungen, durch ein abwechslungsreiches Programm die Massen zum Schnellschachspektakel anzulocken. Mit Vishy Anand an der Spitze lautete das Motto "Die ganze Schachwelt trifft sich ...in Mainz". Bei verschiedenen Zweikämpfen bzw. Turnieren stand der sportliche Wettkampf im Vordergrund. Bei einem Programmpunkt sollte es allerdings etwas freundschaftlicher zugehen. Aber auch hier war es spannend - auf und vor allem neben dem Brett. Hartmut Metz bezeichnet Karpow und Kortschnoi als zwei Krokodile und berichtet vor allem auch aus alten Zeiten. Viel Spaß beim Lesen dieses Berichts wünscht Herbert Lang Die "zwei Krokodile" sind sich nicht grün Schach-Legenden Anatoli Karpow und Viktor Kortschnoi nach 27 Jahren noch immer verfeindet (von Hartmut Metz) "Die Damen, die wir benutzen, würden dich nicht erregen!" Die Damen, die die Textzeile aus dem Welthit "One Night in Bangkok" meint, erregen die lebenden Vorbilder für das Erfolgs-Musical "Chess" von Abba noch immer: Anatoli Karpow und Viktor Kortschnoi. Mit ihren Damen, der mächtigsten Figur, versuchen die beiden Schach-Koryphäen dem Gegner klaffende Wunden zuzufügen – nicht nur auf dem Brett. Dass diese auch nach 27 Jahren nicht verheilen, zeigte sich bereits vor dem ersten Zug bei den Chess Classic Mainz in der Rheingoldhalle. Dabei ging es eigentlich um ein freundschaftliches Turnier, mit dem der 80 Jahre alt gewordene 386fache deutsche Rekordnationalspieler Wolfgang Unzicker geehrt werden sollte. Die ersten Scharmützel lieferten sich Kortschnoi und Karpow bei der Pressekonferenz. Letzterer verstellte gleich die Namensschilder, als der 54-Jährige entdeckte, dass er neben dem ehemaligen sowjetischen Landsmann sitzen sollte. Kortschnoi verdrehte nicht nur die Augen bei den Ausführungen des verhassten Moskauers, sondern kritzelte auch ein paar kyrillische Sätze auf einen Block, die er anschließend seinem neuen Nebenmann, Boris Spasski, zeigte. Es dürfte sich um eine Schmähschrift gehandelt haben, denn der 1972 von Bobby Fischer entthronte Weltmeister wiegelte gleich kopfschüttelnd ab, als Auskunft begehrt wurde, was er von dem 74-jährigen Wahl-Schweizer gezeigt bekommen hatte. Stattdessen wünschte der gemütlich gewordene Spasski lieber Unzicker und sich in dem Turnier der alten Haudegen "viel Glück gegen die zwei Krokodile". Wie bissig die noch sind, zeigte sich gleich in der ersten Partie. Die Auslosung für die "Unzicker Gala 80" hatte ausgerechnet das Duell Kortschnoi kontra Karpow erbracht. Eine weitere Neuauflage der unendlichen Geschichte, die 1978 begann: Im WM-Finale musste der erste reinrassige Russe und Proletarier Karpow um jeden Preis den Titel gegen den geflohenen und seitdem in seiner Heimat totgeschwiegenen Kortschnoi verteidigen. In Baguio stand deshalb auch die geistige Überlegenheit des Sozialismus auf dem Spiel. Zunächst lief alles nach Plan. Der 1975 kampflos gekürte Weltmeister - nach seinem Sieg im Herausforderer-Finale über Kortschnoi trat Fischer nicht an - führte auf den Philippinen 5:2. Doch plötzlich holte der Dissident auf und glich zum 5:5 aus! Bis heute ranken sich Legenden um die folgenden Dramen. Kortschnoi sei auf das Schicksal seiner in der UdSSR festgehaltenen Ehefrau und seines Sohnes hingewiesen worden, heißt es. Der heute im eidgenössischen Wohlen lebende Großmeister beharrt auf eine noch abscheulichere Drohung: Sollte dem Abtrünnigen ein weiterer Sieg gelingen, würde ihn der KGB eliminieren. Glücklicherweise vollstreckte Karpow zum 6:5. Beim nächsten WM-Finale 1981 in Meran (das das Abba-Musical mit dem Lied "Merano" würdigt) hatte das Partei-Mitglied dann weit weniger Schwierigkeiten, Kortschnoi in Schach zu halten. Ein Trauma für den 74-jährigen Ausnahmekönner, der als einer der größten Denkstrategen aller Zeiten niemals Weltmeister wurde. Im Mainzer Hilton eingetroffen, beschäftigt ihn daher nur eine Frage: "Ist Karpow schon da?" Obwohl der inzwischen viel lockerer wurde und den Kommunisten abgeschworen hat, taucht Kortschnoi in der Rheingoldhalle mit einer zweiten Brille über seiner normalen auf! Wie anno 1978 sind die Augengläser stark verdunkelt, als sie auf den Philippinen die Strahlen des sowjetischen Parapsychologen Schugar abhalten sollten. Freilich nutzt die psychologische Kriegsführung auch diesmal nichts. Kortschnoi will zu viel, will unversöhnlich den Feind an seinem Brett vernichten. Karpow kontert ihn kühl aus. "Lächerlich" findet der Moskauer anschließend die Dunkle-Gläser-Posse. Zufrieden gibt der 54-Jährige nun einem Fernsehteam das Interview, das er am Nachmittag abgeblasen hatte – weil die "Brisant"-Redakteurin der ARD zu lange mit Kortschnoi parliert hatte. Ein indisches Sprichwort sagt: Schach ist ein See, aus dem eine Mücke trinken und in dem ein Elefant ertrinken kann. Die "zwei Krokodile" in diesem See werden sich nicht mehr grün.